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Mai 2012


Immer wilder werden die Konstrukte, mit denen sich die neoliberalen Putschisten unter Merkel jede Kontrolle vom Hals schaffen wollen. Dass der ESM verfassungswidrig ist, ist ihnen schon lange wurscht. Dass er nicht nur gegen das Gebot der Haushaltssouveränität verstößt, sondern auch gegen den ‘Europa Artikel’ 23, hat sich die Bleierne mal ganz lässig von der Backe gewischt: “Gar nichts mit Europa zu tun” hat der “Europäische Stabilitäts Mechanismus” nämlich! Nein, das ist bewusst als internationales Wischiwaschi Blabla ohne Gesetzesrang umgesetzt worden. Außergesetzlich quasi und damit übergesetzlich. Global angelegt und daher gültig für beliebige Regionen. Das stand ja bei Hayek auch gar nicht drin, welchem Gesetz der ‘Rat der Weisen’ unterstehen soll. Er soll doch gerade den Staat ersetzen – bis auf dessen Steuergelder natürlich.

Es wird doch einiges besser: Gestern noch wurden wir fürchterlich vereimert, heute schon deliriert die Nomenklatura frei vor sich hin, ganz unbeleckt von jeglichem Bemühen zur glaubhaften Lüge. “Sagen Sie einfach irgendwas, die glauben uns eh alles” war womöglich Ackermanns letzter Rat. Apropos: Wenn der Rat das sinkende Schiff verlässt, ist es allerhöchste Zeit, sich eine brauchbare Planke zu suchen.

 
allewetterSo wie die Psychoanalyse als Philosophie und Denkmodell großartig, als Therapie aber eine Katastrophe ist, sind Marx’ Analysen des Kapitalismus geniale Wissenschaft, aber völlig untauglich zur politischen Auseinandersetzung. Ein belesener Marxist kann ein erfolgreicher Neoliberaler sein, weil er weiß, wie’s geht und nur in die andere Richtung marschiert. Die gängigen Glaubenskonflikte zwischen Hayek und Keynes durch Marx anzureichern, hebt zwar deren Niveau ganz beachtlich, es bleiben aber Debatten unter Klerikern. Die politische Meinungsbildung beeinflussen sie damit kaum.

Ich bin daher ganz und gar nicht der Ansicht, die offenbar Kollege Burks vertritt, man müsse immer dort Marx zitieren, wo der schon zuerst war, recht hatte und überhaupt als einziger den Durchblick. Keine Frage: Wer Volkswirtschaft studiert – auch jenseits der Akademien -, muss sich mit Marx befassen, sonst kann er es auch gleich lassen. Um aber zu verstehen, was der Kapitalismus mit der Welt anstellt, brauche ich Marx nicht. Um in die Lebenswelt der Opfer vorzudringen, kann ich Marx meist nicht gebrauchen.

Ich weiß nicht, was du bist, aber ich töte dich

Wenn mich ein Tiger anspringt, sehe ich zu, dass ich Land gewinne, so ich noch die Chance dazu habe. Oder ich bin zufällig im Besitz einer brutalen Waffe, die ich zu meiner Rettung einsetzen kann. Es hilft aber überhaupt nichts, wenn mir jegliche Einzelheiten von dessen Organismus bekannt sind. Es ist mir wurscht, wieviel Hunger er haben muss, um Menschen anzugreifen und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass so etwas passiert, ob er Paarhufer oder Zehengänger ist. Ich weiß, dass ich nicht mit ihm spielen möchte, und das bringt mich auf einen Schlag ganz weit nach vorn gegenüber den klügsten Zoologen.

Womit wir bei den Stärken der Tagesschau sind: Die bedient virtuos beide Seiten der vermeintlichen Information: Das wohl-wissenschaftlich klingende Kauderwelsch, weihevolle Worte, die im Hirn des Rezipienten keinen Ankerplatz finden, und das Triviale, das jeder vermeintlich versteht. Daraus wird eine Melange gerührt, die das Gefühl der Informiertheit erzeugt. Analysen dazu gab es schon in den 70 er Jahren, seitdem hat sich daran aber nichts geändert.

Politische Marxisten ficht das alles nicht an. Sie haben gelesen und verstanden und glauben fortan, sie müssten agitieren. Dabei ist ihnen kein Argument abschreckend genug. Erst mal ein paar tausend Seiten Marx wälzen, dann dürft ihr auch mitreden. Mann, bin ich belesen, ey! Dabei ist Marx selbst unter Wissenschaftlern alles andere als unumstritten. Nur ein Hinweis: Was will ich mit einer Werttheorie, die schon am Phantasma der Äquivalenz scheitert? Es gibt keine zwei gleichen Dinge, schon gar nicht gleiche Leistung oder Arbeit. Jede Werttheorie setzt also auf einem Irrglauben auf. Schaut man sich andererseits an, wie real bewertet wird – seien es Produktpreise oder “Lohn”, so braucht man keine langen Ausführungen, um das Spiel zu durchschauen. Lohnarbeit ist Betrug. Furchtbar für treue Marxisten: Jede Lohnarbeit, nicht nur die kapitalistische.

Laber mich nicht voll

Womit wir schon wieder beinahe mittendrin sind in der Diskussion um und über Marx. Das ist jedesmal wie ein Crashkurs Meteorologie, wenn ich wissen will, ob es draußen regnet. Dann will ich keine Vorträge über Starkregen, Sprühregen und Niederschlagswahrscheinlichkeiten. Macht es mir einfach: Soll ich einen Schirm mitnehmen oder nicht? Auch die Antwort “Keine Ahnung” ist mir lieber als der Hinweis auf die dreißig Bände “Regen für Tiefdruckexperten”. Der Blick fürs Wesentliche ist entscheidend, wenn man wirklich kommunizieren will. Die Zuhörer filtern ohnehin eine Essenz heraus. Wer sie erreichen will, muss zusehen, worin die besteht und dass sie wenigstens ein Häppchen dessen mitnehmen, was man ihnen auftischt.

Unter Experten sieht das alles anders aus, aber um drittens einer zu werden, muss man zweitens motiviert sein und erstens interessiert. Dazu bedarf es eines Einblicks in die Welt der Belesenen, der nicht Ehrfurcht oder Abscheu, sondern Neugier erzeugt. Und da muss ich leider feststellen, dass die Marxisten, mit denen ich bislang diskutieren musste, die denkbar unfähigsten Diskutanten sind, die man sich backen kann. Ihr habt ein Problem, Jungs: Ihr habt immer recht und noch nie jemanden davon überzeugt. Es ist offensichtlich: Wer Marx sät, wird Hayek ernten. Eure Sekte treibt die Menschen in die Fänge eurer ärgsten Feinde. Wenn ihr sie in die richtige Richtung lenken wollt, müsst ihr Umwege finden, auf die sie sich von selbst begeben können. Versucht’s doch mal mit Platon, der ist wirklich sexy.

 
Einen inhaltlich erfreulich hochwertigen Artikel gibt es heute in der FR zu lesen, allein: Wem nützt das Kauderwelsch? Stephan Schulmeister nutzt eine der Schwachheiten neoliberaler Strategien und nimmt sie auseinander, um damit ausgerechnet die SPD(-Führung) anzusprechen, was damit leider doppelt ins Leere läuft.

eurosnasmNicht dass ich derartige Argumentationen grundsätzlich zurückweise, ich führe sie ja selbst hier. Es ist aber zu hinterfragen, inwieweit derlei Kommunikationsangebote noch irgendwo Resonanz erzeugen. Hätte man etwa die Hoffnung, Schulmeisters wie gesagt schlüssige Argumentation erzeugte auf Seiten der Neoliberalen selbst jegliche Erkenntnisse, so wäre man wohl naiv. Ein einziges Wort steht dem schon im Wege wie eine Staumauer: Er spricht von “Konsum”. Der intellektuelle Offenbarungseid eines Hans-Werner Sinn, der ganz offiziell glaubt, Konsum sei schädlich für die Wirtschaft, weist auf die tragende Säule im Hokuspokus der Sparpaketboten. Dagegen helfen keinerlei Argumente, schon gar keine, die unmittelbar gegen das Dogma des Konsumverzichts sprechen.

Schulterklopfen

Sich an die eigene Fraktion zu wenden, Argumentationen auf den neuesten Stand zu bringen, ein wenig Schulterklopfen vielleicht, ist nicht schädlich, aber auch wenig hilfreich. Das kann man also machen, wenn einem nichts Besseres einfällt; auch das mache ich regelmäßig selber. Es wäre aber besser, man fände dann stilistisch eine Möglichkeit, nicht staubtrockene Aufsätze zu schreiben, die niemand versteht, der nicht ohnehin längst eine Meinung zum Komplex hätte. Viele der Begrifflichkeiten und Theoreme kann man umgehen und manchmal dabei sogar auf kürzerem Wege zum Ziel kommen. Wenigstens ein Bemühen in diese Richtung wäre schön und wenigstens in einer Zeitung.

Begriffe wie Fiskalpakt, Konsolidierung, systemische Restriktionen, Schuldenquoten oder strukturelles Defizit versteht in dieser Dichte kein Mensch, der sich nicht intensiver mit Volkswirtschaft beschäftigt hat. Sie geistern durch die „Nachrichten“ und hinterlassen nur einen Effekt: Dass nämlich der Neusprech leichtes Spiel hat in der Atmosphäre einer Sprache ohne Bedeutungen.
Ein Satz wie „Man bereinige das Gesamtdefizit um die konjunkturelle Komponente und Einmaleffekte und man erhält das „schlechte“ , weil strukturelle, Defizit“ überfordern den gemeinen Abonnenten einer Tageszeitung.

Das Phänomen, Texte ohne Adressaten zu verfassen, wird vor allem dort zum Problem, wo es notwendig wäre, möglichst viele Menschen zumindest zu interessieren, wenn schon nicht zu informieren. Ich werde das Problem in den nächsten Tagen noch einmal aufgreifen und mich in diesem Ansinnen dem Marxismus widmen. Nicht um ihn zu verbessern, sondern um dazu beizutragen, ihn einer verdienten Totenruhe zuzuführen.

Die meisten Gazetten kommen erst gar nicht auf die Idee, ihre eigenen Meldungen zu hinterfragen und schreiben so etwas wie “sitzt im Kerker” über einen Mann, der “Geheimnisse” über Papa Ratzi ausplaudert. Nach welchem Recht, mit welchem Recht und was folgt daraus, erlaube ich mir mich zu fragen. Der “Stern” weiß immerhin: Es sei das “Strafrecht des Kirchenstaates”, nach dem da vollstreckt werde und es drohten bis zu 30 Jahre Haft. Nicht bloß, dass ein zutiefst mit der Mafia verstrickter Haufen mittelalterlicher Fanatiker in Europa geduldet wird, dessen diktatorische Entscheidungen werden auch noch von einem EU-Staat exekutiert.

Im vorliegenden Fall, dessen Hintergründe mir aus allen Berichten nicht ganz deutlich werden, kann sich der Unrechts- und Gottesstaat allerdings der Sympathien des freiheitlichen Westens gewiss sein. Wenn es einen Feind gibt, der nicht einmal links stehen muss, sind es die Petzen, die dafür sorgen, dass nicht alles Gemauschel der Granden dieser Welt vor der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Das Verbrechen der Transparenz wurde in besseren Zeiten mit dem Herausschneiden der Zunge gesühnt. Im Zeitalter des Internet reicht das nicht mehr aus zur Eindämmung der nämlichen Todsünde, da muss man die Abtrünnigen schon ganz aus dem Verkehr ziehen. Apropos: Lasst es aussehen wie einen Unfall!

Der Fall ist geeignet, das Vertrauen
in die Deutsche Bank zu erschüttern.

*

Nein, das kann man auf gar keinen Fall so sehen! Die Deutsche Bank hat die Betrugsverdachtsvorwürfe so beinahe eindeutig an der Grenze zur Entkräftung durch organisierte Verdrängung abgewendet, dass vor gegenteiligen Tatsachenbehauptungen nur eindringlichst gewarnt werden kann. Die rhetorische Verbriefung der Aussagen zum stillgelegten Betrugsverfahren sind das Werk absoluter Profis. Denen muss man vertrauen. Sie machen überhaupt nur Angebote, die man nicht ablehnen kann. Im übrigen weiß ich gar nicht, was der ganze Alarm schon wieder soll, denn im Grunde genommen reden wir hier von Peanuts®.

*im zitierten Text heißt es “das Fall”.

Unter den Vollzeitbeschäftigten seien sogar nur sieben bis acht Prozent auf Hartz IV angewiesen.

Oh Ford, it’s Paradise!

Er hat es also geahnt haben wollen. Mit Kugelschreiber auf Zeitungsartikeln seien die Ahnungen Günther Becksteins dokumentiert, dass er schon 2001 und dann abermals 2006 auf die Möglichkeit eines “ausländerfeindlichen Hintergrundes” hingewiesen habe. Er allein offenbar, alle anderen fanden keinen nachweisbaren Baum im Wald. Und ausgerechnet er, der an anderer Stelle die Order gab, dass nichts von einer rechtsextremen Terrorgruppe nach außen zu dringen habe.

Es ist ja schon abenteuerlich genug, dass jetzt solche Notizen auftauchen, ausgerechnet auf Zeitungsartikeln, damit auch ja mit Datum ‘belegt’ ist, wann die Notizen gemacht wurden. Genau zur richtigen Zeit von genau dem richtigen Mann. Wie naiv muss man sein, wenn man dabei nicht verschwörungstheoretische Überlegungen anstellt? Wen soll das überzeugen? Ach ja: die Öffentlichkeit. Die Experten. Und natürlich den Untersuchungsausschuss.

Nachweislich haben das Bayrische Innenministerium und ihm unterstellte Behörden die Übergabe des Vorgangs an das BKA verhindert, und zwar als längst klar war, dass hier Serientäter am Werk waren, für die eine Landesgrenze keineswegs ein unüberwindbares Hindernis darstellt. Das war dann aber nicht mehr der umsichtige Minister oder Ministerpräsident, das war dann die Polizei. Wie günstig für Beckstein, der seinerseits nur verhindert hat, dass die Taten über den Weg der Öffentlichkeit mit Terror in Verbindung gebracht worden waren. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Verfassungsschutz, der in allen Gremien der NPD sitzt und seine Genies auch direkt in der Nähe der Täter plaziert hatte, von nichts wusste.

Der Feind steht links

Während Menschen, die wissenschaftliche Aufsätze schreiben, totalüberwacht werden und Wirrköpfe, die mutmaßlich Polizeiautos in Brand gesteckt haben, Duftproben abgenommen bekommen, ist man auf der rechten Seite tiefenentspannt. Man stelle sich vor, einige reiche Leute wären erschossen worden und es hätte Grund zu der Annahme gegeben, dass das organisiert geschehen wäre. Hätte Beckstein dann auch die Suppe abgekühlt, damit in der Öffentlichkeit “keine Hysterie” entsteht?

Es scheint eine Hierarchie zu geben dessen, was als schützenswert gilt in diesem Land:
- Erstens Angehörige der ‘Elite’. Werden die angegriffen, sperrt man auch schon mal die Autobahnen für die Fahndung.
- Zweitens die Institutionen:
Hier ist jedes Fahndungsmittel recht, der Kreis der Verdächtigen und die Kompetenzen der Fahnder können nicht groß genug sein.
- Drittens und letztens die Bürger (Ausländer und Arbeitslose zuletzt):
Nur Rechtsextremisten haben hier je gezielt Unbeteiligte wahllos ermordet. Zwar kann man die Angst unter den Bürgern schüren, sie alle seien Ziel von Terroristen (Qaida, Islamisten), daraus resultieren aber nur Maßnahmen, die ins Kalkül passen. Dass aus der Gruppe der bedrohlichen Fremden in Wahrheit die Opfer kamen, sollte eigentlich nicht bekannt werden?

Es stinkt zum Himmel. Der Untersuchungsausschuss kann eigentlich einpacken, denn es wird ohnehin niemand für nichts zur Rechenschaft gezogen werden. Das Nähere regelt eine Lichterkette.
Es ist aber längst genug bekannt um zu erkennen, wie dieser Rechtsstaat politisch tickt. Das ‘Chaos’ bei der Fahndung offenbart nämlich eine Ordnung. Und die kann sich gar nicht ändern, solange die Staatssicherheit von Leuten eines Schlages gewährleistet wird, der stets weiß, wo der Feind der Sozialen Marktwirtschaft und seiner Demokratie steht.

 
Sehen wir’s sportlich: Vielleicht ist die Linke die erste klassische Partei, die den Personenkult ablegt und trotzdem überlebt. Wenn nicht, ist es schade um die “Linke”, dann muss die Linke sich halt in anderen Organisationsformen wiedererfinden.

                         oskar

Zeitgemäß ist auch eine Partei ohne charismatischen Führer nur bedingt, denn es bedarf anderer Strukturen als der klassischen, um als Bewegung oder Programmpartei Erfolg zu haben. Die Piraten bieten die Voraussetzungen dafür, die Grünen hatten sie dereinst. Letztere haben sich schneller Schritte von all den guten Vorsätzen, sich nicht korrumpieren zu lassen, getrennt. Die Linke könnte das Gegenteil tun und zum Beispiel die Rotation wiederbeleben. Das ist erzdemokratisch, und man muss sich nicht lange über schlechte Chefs ärgern, weil die es nicht lange sein werden.

Lafontaines Politik der Opposition lässt sich ohne ihn vielleicht sogar nachhaltiger umsetzen. Wenn die Werte im Vordergrund stehen und nicht irgendwelche mächtigen Pfauen, schützt das vielleicht vor Fehlern wie der Regierungsbeteiligung in Berlin, für die ich bis heute vergeblich auf eine Erklärung warte. Wie konntet ihr nur? Mit einem wie Sarrazin regieren und eure Ziele derart verraten? Ist das ansteckend?

Eine neue Bewegung

Hätte, wenn und wäre. Voraussetzung dafür ist, dass sich Bartsch und andere politische Funktionsmöbel nicht als Sieger empfinden und ein intrigantes Spiel auf die Spitze treiben. Das wäre tatsächlich das Ende der Partei, soweit sie sich nicht als Ostpartei einrichten will. Das Risiko, das sie ohnehin eingeht, ist dass man sich auf die Zeit nach ihr einrichten wird. Man kann das als Spaltung auffassen oder als Chance: Die Zukunft der Linken liegt außerhalb der Parlamente.

Dass die Menschen Gesichter wählen, Schwiegersöhne, Schönredner, Volkstribune und Vaterfiguren, ist der Stand der Dinge; traurig genug. Während das aber Parteien des neoliberalen Spektrums nützt und all denen, für die Programme, Inhalte und Ziele auf geduldiges Papier geschmiert werden, muss die Linke ohnehin anders denken. Sie ist als einzige nicht “Mitte”. Das muss ausgetragen werden, und zwar mitten in der Gesellschaft. Auf den Plätzen, in den Familien, den Betrieben und den Hochschulen. Weniger als eine neue Bewegung bringt sie nicht voran. Davon kann die Partei, die sich “Linke” nennt, ohnehin nur ein kleiner Teil sein.

 
Es geht um sein Geld. Sarrazin ist ein rechtskonservatives Geschäftsmodell; der Markenkern: Fremdenhass, Revisionismus, Nationalismus, Geiz, Missgunst. Insbesondere letztere Aspekte legen in Kombination mit der virulenten Eurokrise nahe, sich gegen den Euro zu stemmen. Wie immer tritt der Rassist (warum soll man das jetzt vergessen haben, bloß weil es einmal nicht um Kopftuchmädchen geht?) und Faktenfälscher als eine Art rechter Volkstribun auf. Als sei es quasi verboten, vom Austritt aus dem Euro zu reden, während überall genau das Thema ist – auch wenn es vordergründig erst einmal um Griechenland geht. Übrigens: England ist auch nicht “im Euro”. Eine Binsenweisheit also, dass es auch ohne geht.

Jauch promotet, Steinbrück assistiert, der Focus macht den Schund zur Serie. Wer je wissen wollte, was eine Verkaufsgarantie ist, findet hier Anschauungsmaterial. Verkauft wird da ein weiteres Buch eines Mannes, den man “Dummkopf” nennen könnte, weil er dummes Zeug verbreitet, der aber vor allem ein aggressiver Schwätzer ist, der eben rassistisch ‘argumentiert’ und seine ‘Fakten’ selbst erfindet, wie er nach der letzten Veröffentlichung selbst zugab. Dem es gelungen ist, genetisch bedingte Eigenschaften bei Nationalitäten (“Türken”), Sprachräumen (“Araber”) und Religionen (“Juden”) vorzufinden, ohne dass dies als Rassismus gelten soll. Wer lädt einen solchen Scharlatan noch ein? Wer diskutiert dessen “Thesen”, die noch nie welche waren, sondern schon immer die Auswürfe eines Trolls?

Trolle und ihre Währungen

Dessen Hauptargument, bestechend wie alle anderen, war immer: “Haben Sie mein Buch gelesen? Haben Sie es ganz gelesen?”, und seine Adepten wiederholen es fröhlich, denn nur die Gemeinde darf eine Meinung haben in ihrer tabufreien Zone. Es soll niemand eine Meinung haben, der nicht Käufer ist. Es soll keinerlei Metakommunikation zugelassen sein. Niemand soll den Autor disqualifizieren dürfen. Dies ist zwar auch keine schöne Technik, um eine Debatte zu führen, aber es lässt sich nicht vermeiden zu konstatieren: Ich diskutiere nicht alles mit jedem. Nicht über Juden und Araber mit einem islamophoben Rassisten und nicht über die Eurokrise mit einem geständigen Lügner, der ‘analysiert’, der Euro sei ein Tribut der Deutschen wegen des Holocausts.

Das wäre schon sachlich unmöglich, es wäre unmöglich, eine solche ‘Diskussion’ jemals auf einen inhaltlichen Punkt zu führen oder zu Positionen zu kommen, zwischen denen man sich entscheiden könnte. Stattdessen das, was man von Auseinandersetzungen mit solchen Trollen kennt: Aufmerksamkeit Erregen um jeden Preis, eine Extremposition einnehmen, sich in eine Opferrolle begeben und permanent Konnotationen einwerfen, von denen man weiß, dass sie polarisieren. Aufmerksamkeit ist die Währung der Trolle, der PR-Agenturen und der Verlage. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen Bestseller geschrieben.

Traurig, dass Frank Luebberding glaubt, es bräuchte einen Sarrazin, um gewisse Selbstverständlichkeiten auszusprechen. Noch trauriger, dass er nicht erkennen will, welchem Zweck das dient und was man sich damit nebenbei sonst noch so alles ins Haus holt, wenn man dem zustimmt. Zeit, sich an eine Weisheit zu erinnern, die einem dabei in den Ohren dröhnen sollte: Es ist nichts Richtiges im Falschen.

 
ausbweltUrsula Rüssmann meint in der FR, Blockupy müsse “die Absage an Gewalt endlich lauter hörbar“machen – und hat damit ein Problem erkannt, das sie leider völlig falsch angeht. Die biederen Appelle an Gewaltfreiheit taugen den gehorsamen Bürgerkindern jederzeit zur Verleumdung jeglicher Anliegen. Selbst wenn keine Gewalt stattfindet, hätte man sich inzwischen stärker distanzieren müssen. Ach ja? Und wieso? Weil sonst automatisch die Veranstalter schuld sind, wenn irgendwer Steine wirft? Und weil man dann immer nur einen Stein fliegen lassen muss, um das Anliegen der Initiatoren zu neutralisieren? Weil nämlich die “Distanzierung” überhaupt nichts damit zu tun hat, wie gewalttätig eine Veranstaltung verläuft?

Ganz im Gegenteil. Die Veranstalter von Blockupy sind erklärtermaßen legalistisch und gewaltfrei unterwegs. Das kann ein Fehler sein, aber sie haben sich so entschieden. Das wiederum kann man zur Kenntnis nehmen oder sein Süppchen kochen, indem man Verschwörungstheorien spinnt von Gewaltfreien, die gar nicht gewaltfrei sind. Hauptzutat dieses Süppchens: Es gibt so viele, die es anders wollen. Überall dort, wo die Zustände, die in Frankfurt angeprangert werden, ungeschminkt zum Vorschein kommen, ist Gewalt schon beinahe selbstverständlich. Müsste sie dann nicht auch hier von jedem befürwortet werden, der sich einreiht? Ist es glaubhaft, gegen Kapitalismus zu sein und dabei gewaltfrei bleiben zu wollen?

Wo wird Recht zu Unrecht?

Es gibt zwei Debatten, die geführt werden müssen: Eine über die strategische Wirkung direkter Gewalt und eine über die Grenzen des friedlichen Protests. Es ist mühselig und nervig, sich immer wieder mit einer Minderheit auseinandersetzen zu müssen. die durch meist undurchdachte Aktion Fakten schafft, wobei diese Fakten der Bewegung nicht den geringsten Nutzen eintragen. Ihnen ist zu konzedieren, dass es nicht immer ausreicht, friedlich zu protestieren. Darum muss man darüber diskutieren, wo die Grenze liegt, ab der direkte Gewalt nicht vermeidbar ist oder strategisch sinnvoll.

Wo sie nicht mehr vermeidbar ist, dürfte die spannendere Frage sein. Kapitalismus ist Gewalt, und diese Gewalt ist nur für jene unsichtbar, die wegschauen und sich die Welt des schönen Wachstums zurecht lügen. Kapitalismus ist illegitim. Vor ihm hat sich niemand zu legitimieren, der nicht gewalttätiger ist als dessen Protagonisten. Dies kann aber nicht zu einer Freigabe jeglicher gewalttätiger Aktion führen. Natürlich ist Gewalt zu vermeiden, sie ist die ultima ratio und bedarf einer klaren Legitimation. Daher muss die Diskussion von Seiten der Friedlichen und Legalen eröffnet werden. Artikel 20 Abs. 4 des Grundgesetzes etwa ist eine gute Basis für diese Diskussion.

Man darf nicht erwarten, dass die Repräsentanten des Systems das Widerstandsrecht quasi ausrufen. Es ist auch nicht hilfreich, darüber erst zu debattieren, wenn es zu spät ist. Am allerwenigsten helfen reflexhafte Aufforderungen zur “Distanzierung” oder blinde Randale – zwei Seiten derselben Medaille. Die Frage ist zu erörtern, wo Demokratie und Rechtsstaat definitiv aufhören und was dann zu tun ist. Eine der wenigen politischen Fragen, die noch nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen.

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