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Dezember 2011


 
schneesperr

10° und Nieselregen – dann doch lieber so wie letztes Jahr? Man kann es mir aber auch nicht recht machen. In diesem Sinne: Kommt gut rüber, frohes Neues und lasst euch nicht aufhalten!

Und das wird es dann nächstes Jahr gewesen sein:

Januar:
Feynsinn wird Zweikiloblog. Der 2000. Artikel trägt den Titel: “Ich widerrufe alles“.
Der Mindestlohn in der Zeitarbeit wird eingeführt. Die Gewerkschaften kämpfen bis zum Schluss für die Erhaltung von Arbeitsplätzen und eine Untergrenze von vier Euro, können sich aber gegen die Angst der Unternehmer vor Hungerrevolten nicht durchsetzen.
Zum 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen wird der Absolutismus probeweise wieder eingeführt.
10 Jahre Euro: Ohne Holland.

Februar:
50 Jahre nach der Sturmflut wird Helmut Schmidt der Titel “der Große” verliehen. Probeweise übernimmt er das Amt von Friedrich II. Johannes Kahrs führt die Amtsgeschäfte in den Rauchpausen des “Alten”.
Queen Elizabeth II, die vor 60 Jahren ihr Amt angetreten hat, gratuliert als erste und bietet Helmut I/II eine Handvoll Verwandte als Sänftenträger an. Vor allem “den Tampon mit den doofen Ohren” würde sie gern loswerden.

März:
Der EU-Vertrag wird mit den Stimmen Merkels, Sarkozys und der Fischerchöre geändert. Es gilt ab sofort, was “Lady Lead” sagt. Die Eurostaaten betrachten ihre schweigende Zustimmung als alternativlos, nachdem Wolfgang Schäuble damit droht, alle ihre Banken aus Bundesmitteln aufzukaufen.
Bei den russischen Präsidentschaftswahlen belegt Vladimir Putin die ersten drei Plätze. Er wird als Kosmonaut, Feuerwehrmann und Lokomotivführer gewählt.
Fukushima ist ein Jahr nach der Havarie unter Kontrolle. Es wird ein Verbot der Emission von Emissionen erlassen.

April:
Am ersten Tag des neuen Monats wird das Grundgesetz geändert. Es weicht einer Generalbevollmächtigung der Bundeskanzlerin, nachdem Helmut Schmidt “auf unbestimmte Zeit verreist” ist, wie sein Sprecher Kahrs mitteilt. Die diesbezüglichen Meldungen werden für einen Scherz gehalten.
100 Jahre nach der Jungfernfahrt der Titanic übernimmt “die Partei” die FDP. Philipp Rösler wird zur Fortführung seines Amtes gezwungen und für unsinkbar erklärt.

Mai:
Vor den Wahlen in Schleswig-Holstein warnt die deutsche Presse einhellig vor einem Linksrutsch, der Linkspartei, linken Kräften und den noch gefährlicheren Hyperlinks. Die CDU holt die absolute Mehrheit.
Bei der re:publica wird Sascha Lobo heilig gesprochen. Das Medienecho ist gewaltig. Die offizielle Website der Veranstaltung zählt mehr als 20 Zugriffe.
Karlheinz Deschner wird 88. Die Kanzlerin ist alarmiert. Das BKA baut eine Atheistendatei auf, in der alle diese Fanatiker registriert sind. Bundesbeamte werden künftig auf den „einen Gott der Christen“ vereidigt.

Juni:
Bei der Fußball-EM scheidet Deutschland überraschend in der Vorrunde aus. Jogi Löw wird daraufhin fristlos entlassen, ihm werden die Leibwächter entzogen, und er muss alle schwulen Mitglieder des Kaders outen. Deren Vierteilung wird bei Satt eins live übertragen.
Die Weiber rennen schon wieder halbnackt rum. Ich bin immer noch nicht zu alt für Hechelatmung, sehe aber schon echt scheiße aus. 44° im Schatten. Ich ziehe in den Keller und lebe nur noch von Bier und Kippen.

Juli:
44° im Keller. Ich lasse mir von einem Escortservice Trockeneis liefern.
Zypern hat die EU-Ratspräsidentschaft inne. Zypern! Der Euro wird Zentralasien eingeführt, Kinder spielen damit “Kaufladen”. In Europa werden die Geschäfte derweil in Fränkli abgewickelt.
Angela I/II/III wird 58. Aus Anlass ihres Geburtstages werden die überflüssigsten Minderleister öffentlich zu Raubtierbetreuern ausgebildet. Die Nation spendet stehende Ovationen.

August:
Anlässlich des 2000. Geburtstags Kaiser Caligulas wird die Immunität für hochrangige Politiker erweitert. Der grausame Kaiser hatte seinerzeit reihenweise Senatoren hinrichten lassen. “Es ist an der Zeit, endlich aus diesen kommunistischen Greueltaten zu lernen“, sagt Volker Kauder, der unter diffusem Korruptionsverdacht steht.
Zum Ende der olympischen Spiele in London werden einige Wettbewerbe auf die Straßen verlegt. Ein schwarzer Jugendlicher schafft die 400 m Hürden (brennend) in 46,08 Sekunden. Tausende Chaoten werden nach Verlöschen der Feuer in die Stadien eingeladen. Für ihre Sicherheit ist gesorgt.

September:
Am 225. Jahrestag der der Verfassung der Vereinigten Staaten werden einige Grundrechte gelockert. Der “New Patriot Act” erweitert die Kompetenzen der Polizei. Sie erhält eine eigene Artillerie und darf sich künftig auch “Arbeit mit nach Hause nehmen“.
150 Jahre nach dem Ende der Sklaverei werden die “Knebelgesetze Lincolns” ebenfalls gelockert. Die Börsen reagieren mit einem Kursfeuerwerk.

Oktober:
Beim 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Betriebsverfassungsgesetzes erklärt der DGB Betriebsräte für einen “Klotz am Bein des Aufschwungs”. Die Rentenbeiträge der Arbeitgeber werden auf null gesenkt. Dazu der DGB-Chef: “Wir haben mehr für den Standort Deutschland erreicht als je irgendwer zuvor“.
Günther Wallraff mischt sich zu seinem 70. Geburtstag unter die militanten Demonstranten am Spreebogen und dortselbst Cocktails, die er nach einem ehemaligen sowjetischen Außenminister benennt.

November:
60 Jahre nach dem Zünden der ersten Wasserstoffbombe erklärt Iran sich zur Atommacht. Die USA marschieren daraufhin in Bahrain ein. „Die haben doof geguckt“, erklärt Außenministerin Clinton.
Bei der US-Wahl wirbt der Commander in Chief erfolgreich mit dem Slogan “Yes we cane“. Derweil prügeln sich Polizisten in allen Großstädten der Union durch kommunistisch unterwanderte Vororte. Obama wird mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt.

Dezember:
Karl-Theodor zu Guttenberg wird Bundeskanzler – in Österreich. Lady Lead kommentiert süffisant:
Wir wurden jetzt zwomal von Alpenfuzzis regiert. Karl-Theodor ist die vorläufige Antwort auf Adolf und Joe. Wenn euch das nicht passt, schick ich euch den Pofalla.”
Der Aufschwung darf nicht gefährdet werden: Weihnachten wird ausgesetzt und soll in einem der kommenden Jahre an einem Wochenende nachgeholt werden. “Das hat uns letztes Jahr auch nicht geschadet”, so BDA-Chef dicker Dieter Hundt.

 
Und morgen die ganze Welt

EU-Militär soll künftig nach Belieben in Somalia an Land gehen und dort morden und plündern für Ordnung sorgen dürfen.

Mit dem Wirken gegen die Piraterielogistik am Strand ist beabsichtigt, am Strand gelagertes Material, das für Pirateriezwecke verwendet wird oder werden soll, zu zerstören

Nachdem die internationalen Fangflotten den Somalis ihre wichtigste Lebensgrundlage “zerstört” haben, sorgen dann übergesetzliche Killerkommandos dafür, dass sie die Gesetze einhalten, sonst wird weiter “zerstört“. “Welche Gesetze” fragt ihr? Die der Stärkeren natürlich, ihr Trottel.

Bald bei Feynsinn: Die schönsten Parteien Deutschlands

Ich weiß gar nicht, ob ich zu faul dafür bin (glaube ich nicht wirklich, ich gehe zwischen den Jahren ja auch fleißig buckeln) oder wirklich keine Zeit habe (kann eigentlich auch nicht, ich hänge ja hier rum), aaber … ich habe da eine Serie im Kopf über siehe oben, ihre Ideologien und was die Wirklichkeit dazu sagt. Beginn wird jedenfalls etwas über den Konservativismus: die Kunst, Probleme des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts mit den intellektuellen Mitteln des dreizehnten zu meistern. Vielleicht wird’s auch gleich ein Rundumschlag, dann lohnt sich’s wenigstens.

Spiel über Bande

Eine furchtbare Strafe droht der Bundesrepublik Deutschland, weil die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt wurde. “Wer ist denn die EU?“, fragt ihr und “hat Deutschland da etwa nichts zu sagen“?
Jetzt werdet mal nicht frech!

Die Grökaz steht seit ihrer stillen Apotheose über dem Grundgesetz, ihre Jünger können dies aber nicht immer hinreichend dem Volk vermitteln, schon gar nicht denen in den roten Roben. Also muss der Bruch der Verfassung als von außen aufgezwungener Zwingezwang daherkommen. Das ist dann zwar immer noch verfassungswidrig und daher nichtig. Es kann deshalb auch niemand den Bundestag dazu zwingen, die Gelder für derlei “Strafen” zu genehmigen, denn Verträge, die grundgesetzwidrige Vereinbarungen beinhalten, sind ebenfalls nichtig. Insofern wäre sogar ein solcher Beschluss zum Etat rechtswidrig …

Das klingt aber alles so kompliziert und ist zumindest so komplex, dass
a) der Michel das nicht rafft,
b) die Abgeordneten auch nicht, so dass es
c) erst mal so aussieht, als müsste die BRD wirklich müssen;
d) räumt das BVerfG ja immer erst nachher auf, und bis dahin lässt sich
e) eine Menge horchen und spähen. Die Daten werden ja nicht schlecht, hähä.

Wenn Daten singen

Apropos Daten: Ich habe bei Totschka (da gibt’s noch mehr von dem Stoff) ein paar sehr geile Filmchen gefunden. Der Soundtrack ist oscarreif, die Handlung ergreifend minimalistisch und daher eher etwas für Freunde des Programmkinos. Veery neerdy.

In Bethlehem geboren sein, das würde mir heute echt stinken. Bei Al Jazeera findet sich nicht nur ein vielsagender Artikel dazu, dort ist auch ein Foto zu sehen, das die ganze Absurdität des antiterroristischen Schutzwalls abbildet. Leider ist es lizensiert und die Agentur dafür bekannt, ihr “Urheberrecht” sehr konsequent durchzusetzen.

Andere Dokumente der Mauer gibt es hier

iswall1

und hier.

iswall2

Merkwürdig, dass diese Bilder in den Medien nicht zu sehen sind, ihre Wirkung ist doch absolut quotentauglich. Man muss den Leuten dann nur noch erzählen, dass Iran schuld ist an der ganzen Schande, dann ist auch der ideelle Wert gesichert.

Na klar: Iran ist schuld an 9/11. Sofort einmarschieren! So ein Gebrauchtnineeleven kann recht nützlich sein. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren finden sich bestimmt noch eine Menge Mitschuldige, die man dafür bestrafen kann. Ausgenommen natürlich Saudi-Arabien oder alles, was bei einer seriösen Untersuchung herauskommen könnte. Gegen die absurde Kriegshetze der Amis ist die Argumentation des Wolfs gegenüber dem Lamm in der nämlichen Fabel stringent und schlüssig.

p.s.: Ich mag trotzdem keine ‘Diskussion’ über False Flag – Anschläge, das ist mir zu doof.

 
Um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit® nicht zu gefährden, ist Lohnzurückhaltung® das Gebot der Stunde. In der Krise© darf der zarte Aufschwung® nicht am Festhalten von Pfründen© scheitern. Die deutsche Automobilindustrie steht vor schweren Zeiten, unsere Exporte®© sind das A und O unserer Wirtschaft. Die Gewerkschaften haben bereits ihre Bereitschaft zu maßvollen Lohnabschlüssen©© signalisiert. Die Karte unten zeigt die dramatische Lage: Der Anteil an den weltweiten Exporten von Automobilen. Die Konkurrenz wird immer stärker! Rechts und violett: Japan. Im Zentrum die BRD.
Weitere höchst interessante Karten bei Worldmapper.

autos

© Copyright SASI Group (University of Sheffield) and Mark Newman (University of Michigan) worldmapper

 
Zum Fest des Einzelhandels zitiere ich aus einem Werk aus den frühen 90ern, leicht getunt und modisch runderneuert:

xmasEs adventet wieder. Oder: es kommt mal wieder nicht so darauf an. Die Bäume, geschundene Metaphern der Jahreszeiten, blinken, lauflichtern oder leuchten schlicht, vereinen abtretendes Leben mit aufstrebendem Handel, zeitgemäß urban, weihnachtlich. Was dem Diesel seine Kerze, dem Menschenkind sein Wein, ist dem Baume seine Lichterkette. Alles glüht und funkelt.

Gibt es eine Wechselwirkung, so frug ich mich neulich im Getümmel, zwischen dem Tragen haariger Tierhäute und dem Sozialverhalten ihrer Trägerinnen? Solche sammeln heute allerlei bunte Waren, wo sie dereinst Beeren pflückten. Dabei Keuchen sie schwer und drängeln, während ihre zeitgemäß am eigenen Halse angebrachten Duftmarkierungen die Konsumkonkurrentinnen betäuben, umso sicherer, je mehr sie vom teuren Zaubersaft aus der Glitzerflasche No.5 ihre Haut benetzen ließen. Gespannt streift der Blick manischen Auges umher, das dahinter liegende Sendeschlussrauschen wird nur vom Kaufimpulspiepsen unterbrochen.

STIHIILLEEE NAAACHT

Erscheint etwas außerordentlich Nutzloses im Blickfeld, an dem eine große Zahl angebracht ist, reagiert das Pelzinnere mit einem Griff in den Lederbeutel, dem Zücken großer bunter Papierscheine und Erleichterung. Das unerträglich angeschwollene Piepsen lässt sich nur so abstellen, um einstweilen seinem Widerhall zu weichen. Nähert man sich den Pelzträgerinnen in einem solchen Moment, kann man das Echo deutlich aus den Ohren klingen hören. In digitalem Weihnachtsglockengebimmel und quadrophonisch verstärkter „stiller Nacht“ geht der Ton allerdings meist unter, soviel auch zur Funktion des Geläuts.

Es ist die Zeit der Banner und Prospekte. Etwa zwei Hektar Wald, geschnitten, gebleicht und auf Hochglanz bedruckt, erfreuen unsere Briefkästen und stimulieren den Piepstrieb. Die Mailbox quillt über, das Fernsehen zeigt junge ausgemergelte Menschen bei ungelenken Simulationen von Geschlechtsverkehr. Sie bedeuten uns, Duftöle zu kaufen, um ebenfalls ungelenke Simulationen haben zu dürfen. Der Alkoholikergesellschaft sehr entgegenkommend, wird so viel von dem Zeug gekauft, dass es nur durch Saufen je konsumiert werden kann.

Die Innenstädte duften nach Feinstaub und SUV. Die Psychiatrien erfreuen sich guter Belegungsquoten. Für den allgemeinen Schund fährt die Müllmafia Sonderschichten. Die meiste Freude aber haben und machen die lieben Kleinen: Ihrer Unersättlichkeit schmiegt der Markt sich an wie Akne der Teenievisage. Unter dem Allesundnochmehr, das Eltern ihnen kaufen müssen, befinden sich immer perfektere Ästhetikgeneratoren aus Plastik, von manchen in rührender Naivität “Puppen” genannt. Sie können heute laufen, rülpsen, Kinder kriegen (per autochirurgischem Kaiserschnitt), blinken, musizieren, sind Ipod-kompatibel und generieren automatisch einen Facebook-Account, sobald man sie der Packung entnimmt.

HEIL LIGE NAAAAACHT!!1!

So etwas ist ungeheuer reizvoll für die degenerierten Kids. Noch ehe man entdeckt, wieviel abscheulicher Schwachsinn tatsächlich als batteriefressende Multifunktion aus den Dingern hervor quillt, hat man den Gedanken schon verdrängt. Einwände wie „Entfremdung“ oder „groteske Ausbeutung der kindlichen Psyche“ sind unweihnachtlich und werden als Geschäftsschädigung abgemahnt..

Dass der Reiz bald ausgeschöpft ist, bedarf keiner Erwähnung, nur sei hier vor Nebenwirkungen gewarnt: Hatte sich doch der Säugling, eigentlich Tochter eines guten Bekannten von mir, in der Lichterkette des Weihnachtsbaumes verfangen, um alsdann in einem Verwechslungsdrama von ihrer großen Schwester in Seifenlauge getunkt zu werden. Das Baby sollte sich dadurch in eine veilchenfarbene Meerjungfrau verwandeln. Der Irrtum wurde auch nicht bemerkt, als das Baby, einmal vom Weihnachtsbaum entfernt, nicht mehr leuchtete.

Solche Kollateralschäden sind alternativlos, denn wer würde heute noch ernsthaft die Auswüchse des Zuspätkapitalismus kritisieren wollen, der in seinem christlichen Jahreshöhepunkt näher an seinem Ursprung ist als er glaubt. Vielleicht verlagert sich das Ganze ja, der Massenpsyche gerecht, eines Jahres auf den Karfreitag – man kann sich von so viel Schuld freikaufen, dass es eine Freude sein wird. Dann schlagen wir ein Männlein ans Kreuz, auf dass es nicht rutscht und schlachten und büßen, was das Zeug hält und geben’s uns hart und kaufen uns viel, bis zur final rektalen Erlösung. „Der Leib Christi.“
Amen.

Der Kanzlerkäufer Maschmeyer hat sich also noch einen Minister- und späteren Bundespräsidenten als Autor geleistet. Nun, nicht ganz: Er hat ihm ein wenig geholfen, seine Ergüsse zu vermarkten. So, wie er Schröder geholfen hatte, sich selbst zu vermarkten und die entscheidende Wahl in Niedersachsen zu gewinnen – die Wahl, die ihn zum Kandidaten und damit zum Kanzler machte. Dass der sich bedankt hat, den Finanzdrückern eine unglaubliche neue Spielwiese beschert hat, ist bekannt: Riesterrente, Deregulierung, niedrige Steuern für Spekulationsgewinne. Kurz: Der Auto-Gerd war mindestens in demselben Maße ein Finanz-Gerd. Ein Gas-Gerd, Kohle-Gerd, Kapital- und Oberschichtsgerd halt. Das wäre ein Thema gewesen, als es noch eins war.

Aber Christian Wuff? Der immer nur brav gebellt hat, in gedämpftem Ton, wenn er sollte und über die Stöckchen gesprungen ist, die man ihm hinhielt? Der artig Platz gemacht hat, um der bleiernen Lady nicht im Wege zu stehen? Was erwartet man von so einem? Dass er eine moralische Instanz ist? Nie einen Vortrag für eine Mörderkohle gehalten und das verschwiegen hat? Sich nie eine Reise hat spendieren lassen? Wen soll der Herr Wuff repräsentieren? Das Volk? Das kommt nicht in Versuchung, dem spendiert niemand nichts. Also die politisch- ökonomische Kaste. Die Oberschicht eben. Da ist er ein völlig Harmloser, das zeigt doch gerade die Naivität, mit der er die Vorwürfe kontert. Der Christian ist genau der richtige Bundespräsident für uns. Ein bisschen geschmiert, ein bisschen naiv, gut gebügelt und in gemütlicher Ahnungslosigkeit davon überzeugt, dass alles gut ist, wie es ist. Einen besseren Präsidenten kann ich mir nicht vorstellen.

 
Die Verfasser haben sich generell recht gründlich mit dem Problem gesellschaftlicher Macht und ihrer Verteilung befasst. Im Gegensatz zu den frühen Grünen, die auf eine Trennung von Amt und Mandat setzten – eine Maßnahme, die nur intern ansetzte und dann auch noch ausgesetzt wurde, setzt die Linke auf eine Art erweiterter Gewaltenteilung, um die Konzentration illegitimer Macht einzuschränken. Erstens ist die genuin politische Macht breiter anzulegen:

Ein politischer Richtungswechsel lässt sich nicht allein auf parlamentarischer Ebene durchsetzen. Er kann nur gelingen in einem Wechselspiel politischer Auseinandersetzungen im außerparlamentarischen und im parlamentarischen Bereich. [...] Deshalb muss die repräsentative parlamentarische Demokratie durch direkte Demokratie erweitert werden.

Zweitens muss die Rolle der Parlamente gegenüber den Regierungen bzw. der Exekutive gestärkt werden:

Gewalten-Teilung

Die Parlamente müssen durch die Regierungen nicht nur frühzeitiger und umfassender über die
Entscheidungsvorbereitung informiert, sondern auch in sie einbezogen werden. Die
parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit ist zu qualifizieren. Positionen von Gewerkschaften,
Sozial-, Umwelt-, Verbraucher-, Mieter- und Behindertenverbänden,
Selbsthilfeorganisationen und demokratischen Bewegungen müssen frühzeitig gehört
werden. Die Rechte der Ausschüsse und Abgeordneten auf Unterrichtung und Akteneinsicht
sind zu stärken. Das Europäische Parlament muss ein eigenständiges Initiativrecht erhalten.

Drittens ist die Macht in den Institutionen (z.b. Gerichten) besser zu verteilen:

Die Bestellung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten soll ausschließlich durch Richterwahlausschüsse erfolgen. Dabei ist sicherzustellen, dass die ausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten alle gesellschaftlichen Schichten angemessen repräsentieren.

Dies ist das Gegenteil jener Machtballung, die sich in einer kleinen Kaste oberster Parteifunktionäre und Wirtschaftsbosse bzw. Eigentümer ereignet. Dass viertens die Macht qua Eigentum ebenfalls eingeschränkt gehört, wurde bereits angesprochen.

Dies ist recht konkret formuliert die “breite gesellschaftliche Basis”, ein Demokratieverständnis, das auf Parlamentarismus ebenso setzt wie auf die Einbeziehung sozialer Bewegungen, das Ausgleich und Gerechtigkeit sucht und ausdrücklich die Macht von Regierungen und Eigentümern beschränkt – zumal die der Lobbyisten, die diese Herrschaften zusammenschweißen. Dieses Demokratiekonzept geht weiter als alle anderen Parteiprogramme, und wer künftig behauptet, “die Linke” stehe in der Tradition der SED, meint jedenfalls nicht das Programm, das sich deren Mitglieder und Delegierte gegeben haben.

Vom Programm zur Politik

Im Programm finden sich darüber hinaus konkrete Antworten auf aktuelle Fragen der Gesellschaft wie die Forderung nach Netzneutralität, Beschränkung digitaler Eigentumsrechte, Abschaffung der Geheimdienste, dezentraler Nahrungsmittelproduktion und Energieversorgung sowie höherer Transportpreise. Umstrittene Positionen wie die zum bedingungslosen Grundeinkommen werden offen gelassen. Das Ganze steht im Zeichen einer klaren Linie zur Stärkung der Rechte der Bürger und deren Teilhabe an der Organisation ihrer Gesellschaft.

Wären Parteien identisch mit ihrem Programm, man könnte womöglich sogar die SPD wählen. In “die Linke” könnte man sich glatt verlieben. Was an parlamentarischer Demokratie zu haben ist, die das Primat der Politik wahrt und Macht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln einschränkt, hat die Partei sich ins Programm geschrieben. Das ist absolut auf der Höhe der Zeit, lässt Raum für Entwicklung und gibt den Begriffen Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einiges von der Bedeutung zurück, die der Neoliberalismus zu zerstören versucht hat. Es kommt jetzt allerdings darauf an, die Amts- und Mandatsträger auch darauf festzulegen, dieses Programm zu verwirklichen. Mit “Koalitionspartnern” wie Herrn Sarrazin wird das sicher nicht zu machen sein.

 
linke “Ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei” – das waren die Leitlinien der frühen Grünen, von denen so etwas wie ein kriegsbereiter Neoliberalismus ohne Atomkraft übrig geblieben ist. Die Ideen der frühen Grünen, aktualisiert und mit Betonung auf soziale Gerechtigkeit, finden sich im neuen Programm der “Partei die Linke” wieder – einschließlich einer starken Betonung der Frauenrechte. Das neue Programm wurde am 18.12. durch die Mitglieder bestätigt, nachdem es im Oktober auf dem Parteitag beschlossen worden war.

60 Seiten stark und mit einem Intro von Bert Brecht (Fragen eines lesenden Arbeiters) versehen, schlägt es den Bogen von der Vergangenheit seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts bis heute. Die historischen Betrachtungen muss man nicht zu 100% teilen, aber ich erkenne dort keine Geschichtsklitterung und anerkenne das Bemühen, eine gründliche Verortung der politischen Standpunkte vorzunehmen. Erfrischend direkt sind Zielformulierungen wie die folgende:

Wir verfolgen ein konkretes Ziel: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut
aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer
Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um
dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den
demokratischen Sozialismus.

“Demokratischer Sozialismus” konkret

Anders als die SPD, die ebenfalls mit dem “demokratischen Sozialismus” kokettiert, macht die Linke keinen Hehl daraus, dass dieses Ziel im Gegensatz zum gegebenen Wirtschaftssystem steht. Das grüne Programm wird neu aufgelegt:

Wir haben uns zusammengeschlossen zu einer neuen politischen Kraft, die für Freiheit und
Gleichheit steht, konsequent für Frieden kämpft, demokratisch und sozial ist, ökologisch und
feministisch, offen und plural, streitbar und tolerant. [...] Demokratischer Sozialismus orientiert sich an den Werten der Freiheit, Gleichheit, Solidarität, an Frieden und sozialökologischer Nachhaltigkeit.

Diese Werte sind eingebettet in ein umfassendes politisches Konzept. Die Kritik am aktuellen Zustand des Kapitalismus fällt deutlich aus, die Machtverhältnisse werden ohne Schnörkel dargestellt:

Für die Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, gegen die
Erpressungsmacht großer Konzerne, für ein Verbot von Spenden von Unternehmen an
Parteien und die Unvereinbarkeit von politischen und Wirtschaftsmandaten, für mehr
direkte Demokratie unter anderem in Form von Volksabstimmungen …


Sich die Arbeit anderer nutzbar machen

Dabei kommen dann auch Sichtweisen zum Tragen, die man lange vermisst hat bei den parlamentarischen Parteien, die eine intellektuelle Unterfütterung ihrer Programme weiträumig umfahren. Das Prinzip von Arbeitsteilung und Aneignung wird nicht als gottgegeben betrachtet, sondern auf den Punkt gebracht:

Mit zunehmender Produktivität wurde es möglich, eine immer größere Zahl von Menschen
von der Gemeinschaft mit zu versorgen. Zugleich aber gelang es einem Teil, sich die Arbeit
anderer nutzbar zu machen, über deren Zeit zu verfügen, ihnen Tätigkeiten vorzuschreiben
und somit Klassen- und Herrschaftsverhältnisse zu begründen
.”

linkruenTrotz statt Trotzki

Unter Pervertierung der sozialistischen Idee wurden Verbrechen begangen. Dies verpflichtet
uns, unser Verständnis von Sozialismus neu zu bestimmen. [...]
Gleichheit ohne Freiheit [endet] in Unterdrückung, und Freiheit ohne
Gleichheit führt zu Ausbeutung. Wir streben eine sozialistische Gesellschaft an, in der jeder
Mensch in Freiheit sein Leben selbst bestimmen und es im Zusammenleben in einer
solidarischen Gesellschaft verwirklichen kann.

Mit offenem Trotz begegnet die Linke der Verleumdung von Zielen, die sie sich vom Mainstream nicht nehmen lässt. “Umverteilung“? Ja klar, die haben wir sowieso, es ist nur an der Zeit, die Richtung zu ändern:

Die Umverteilung von unten nach oben muss gestoppt und umgekehrt werden. [...] Wir streben deshalb eine soziale Umverteilung von oben nach unten an. Gerechte, ausgeglichene Verteilungsverhältnisse sind auch wichtig zur Stärkung der Demokratie, weil die Verfügung über große finanzielle Mittel auch politische Macht verleiht.”

Diese im Grunde simple Erkenntnis zu den Machtverhältnissen sucht man bei der Konkurrenz vergeblich. Im zweiten Teil werde ich darstellen, wie das Verhältnis zu Macht und Demokratie ins neue Parteiprogramm einfließt.

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