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Oktober 2010


Angela Merkel wusste schon immer, wem sie verpflichtet ist. Zu DDR-Zeiten brave FDJ-Funktionärin, zu Kohls Zeiten braves Ministermädchen, führt sie als Kanzlerin stets aus, was der Chef der Deutschen (Bank) ihr “rät”. Spätestens seit Ackermanns Sechzigstem weiß man, wer die sprichwörtliche Kellnerin ist. Spätestens in der Nacht, als ihr Sparminister Steinbrück in einen “Tiefen Abgrund” schauen durfte, war klar: Eine Regierung kann lange streiten und verhandeln, aber wenn Jo Ackermann einen Beschluss fasst, wird der noch in derselben Stunde verkündet und umgesetzt.

brddb3Das war nicht das einzige Mal. Auch bei den Übernahmeverhandlungen um Hochtief, die eine Regierung ohnehin nur sehr mittelbar etwas angehen, war Schluss mit Lavieren und Erwägen, nachdem Ackermann wohl deutlich gemacht hatte, dass ihm dies nicht behagte. Nichts geht scheinbar im Kanzleramt ohne das Placet des Chefs der Deutschen Bank.

Was schon mal gar nicht geht in Jo’s Welt, ist Regulierung. Es sei denn, sie nützt ihm. Dass Ackermann nicht amüsiert wäre, würde Deutschland eine Vorreiterrolle bei Finanzmarktsteuern spielen, ist nachvollzienbar. Dass er das sagt, auch. Unschön ist allerdings, dass man sich darauf verlassen darf: Es wird genau so gemacht, wie er das für richtig hält.

Nichts geht ohne den Jo

Interessant ist die Hintertür, die er jetzt jovial öffnet. Könnte es eine Form der Besteuerung geben, die ihm mehr nützt als schadet, weil sie hauptsächlich die Kokurrenz trifft? Wer wissen will, was morgen Gesetz wird, beobachtet am besten heute die Geschäftstätigkeit der deutschen Großbank.

brddb2Regulieren könnte man so manches, vor allem wäre es nach dem sogenannten “Rettungsschirm” legitim und notwendig, die Großbanken zu stutzen. “Too big to fail” darf es nicht geben, wenn man nicht will, daß der Staat aus den Bankenzentralen regiert wird. Anstatt aber irgendeine Anstrengung in diese Richtung zu unternehmen, begünstigt man sogar Fusionen und kuschelt sich gemütlich in die tödliche Umarmung der Banken.

Vergeblich fragt man übrigens nach Gegenleistungen. Selbst wenn die Banken sich an der Beseitigung der Schäden beteiligen sollen, die sie selbst angerichtet haben, lässt man sich am Dienstboteneingang mit Almosen abspeisen. Dafür gibt es ja die Steuerzahler. Die können doch die Schulden abtragen, die der Staat machen muss – bei den Banken.

Gegenleistungen gesucht

Schauen wir uns dann an, wozu die Banken gerettet werden, nämlich um die Konjunktur zu sichern, Handel und Konsumenten mit Krediten zu versorgen, werden wir auch noch der letzten Illusion beraubt. Eine Angestellte mit gutem Gehalt, die über drei Jahre ein Auto leasen möchte, aber nur einen Zweijahresvertrag hat, wird als Kundin abgelehnt. Ein Selbständiger, der ein Geschäft finanzieren will, das von allen Prüfern als grundsolide und selbsttragend eingeschätzt wird, bekommt keinen Kredit. Er ist ja selbständig, das ist zu unsicher.

brddbDiese fanatische Risikoscheu zelebrieren dieselben Banken, die milliardenschwer mit US-Hypotheken gezockt haben, welche dort Obdachlosen ohne Einkommen angedreht wurden. Wir notieren: Wo absurde Gewinne mit völlig abgedrehten Geschäften locken, ist jedes Risiko recht, wo realer Handel getrieben wird, gibt es nur Geld von der Bank, wenn deren Risiko unter Null liegt.

Wo der Nutzen dieser Infrastruktur liegt, warum wir dafür eine halbe Billion auf den Kopf hauen mussten, habe ich bis heute nicht kapiert. Aber ich lasse mich ja auch nicht von Leuten beraten, die mich schon mehrfach und nach allen Regeln der obskuren Kunst vereimert haben.

weiseversaAus der aktuellen Arbeitsmarktstatistik:

Arbeitslose: 2.945.000, davon
- 909.000 ALG I
- 2.037.000 ALG II (Hartz IV);
5.507.000 Hartz IV-Empfänger,
davon
- 690.500 in einer “arbeitsmarktpolitischen Maßnahme”
- 1.830.000 nicht Erwerbsfähige;
1.480.000 Menschen in “arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen”,
40,9 Millionen Beschäftigte
Davon 28 Millionen sozialversicherungspflichtig
4,8 Millionen “ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigte” (in der Regel 400 Euro-Jobber)
Gemeldete Stellen: 401.000

Als erstes fällt auf, daß zu den offiziell gezählten knapp 3 Millionen Arbeitslosen noch einmal 3,5 Millionen Menschen kommen, die von Hartz IV abhängig sind und weitere 800.000, die in Maßnahmen gesteckt werden, um aus der Statistik zu fallen. (Es sind knapp 1,5 Millionen in solchen Maßnahmen, aber 700.000 wurden hier schon unter ‘Hartz IV’ erfasst). Selbst wenn man nun von den 5,5 Millionen Hartzern die nicht erwerbsfähigen (hauptsächlich Kinder) abzieht, kommt man insgesamt auf mindestens 6,5 Millionen faktisch Arbeitslose. Auf diese Summe kommt man, wenn man zu den offiziell Arbeitslosen noch die “erwerbsfähigen” Hartz IV-Empfänger zählt.

Schöngerechnet

Daß diese zum großen Teil nicht als arbeitslos gelten, liegt unter anderem an der absurd hohen Zahl von Minijobbern. Wie viele von den – das muß man sich einmal vor Augen halten – fast fünf Millionen Minijobbern kein ALG II beziehen, obwohl sie dazu berechtigt wären, ist natürlich nicht in der Statistik erfasst. Man kommt also, selbst wenn man der Definition “erwerbsfähig” folgt, auf eine nur sehr vage erfassbare Masse von Menschen, die schlicht arm sind. Die meisten von ihnen, obwohl sie arbeiten gehen.

Die Aufbereitung der Zahlen ist kompliziert, weil die einzelnen Angaben Überschneidungen enthalten. Wenn Hartz IV-Empfänger Kinder sind, kann man ja nicht von Arbeitslosen sprechen. Minijobber können ggf. über die Runden kommen, wenn sie mehrere Minijobs haben.
Will man erfassen, wie viele Menschen arm sind, muss man wiederum diejenigen hinausrechnen, die trotz Arbeitslosigkeit ein ausreichendes Einkommen haben. Dies dürften freilich nicht allzu viele sein.

Geschätzt können es zehn Millionen sein, die von ihrer Arbeit nicht mehr als das Existenzminimum haben oder arbeitslos sind. Man käme also auf eine Quote nicht ausreichend Beschäftigter von über 20%. Alles eine Frage der Perspektive bzw. der Kategorien, die man zugrunde legt.

Das Minijobwunder

aawasteDas neue Jobwunder, dies ist der erste Schluss, zu dem man kommen darf, ist angesichts der künstlich schmal gehaltenen Zahlenbasis reichlich aufgebläht. Für die allermeisten ändert sich gar nichts, und wer glaubt, das bißchen Zuwachs könne schon einen Binnenmarkt beleben, wird sich noch wundern. Es ist zwar richtig, dass in allen Bereichen derzeit positive Tendenzen zu verzeichnen sind. Allerdings macht auch niemand einen Hehl daraus, worauf dieser “Erfolg” beruht. Er beruht auf derselben Strategie, die Deutschland zuletzt den tiefen Sturz beschert hat. Und er beruht auf derselben Strategie, die schon Griechenland in die Pleite gestürzt hat: Die wütende deutsche Exportfixierung.

Dies wird sich doppelt rächen, denn die Krise wird umso schneller wieder aufflammen und Deutschland umso heftiger treffen. Grund zum Optimismus geben die bejubelten Zahlen keineswegs. Das Ganze macht die Armen kein bißchen weniger Arm und die Lage noch instabiler als viele befürchtet hatten. Im Grunde ist die aktuelle Entwicklung ein Fanal.

Grundregeln des Wirtschaftens

Beschäftigt man sich mit den Zusammenhängen und dem Gesamtbild, fragt man sich aber vor allem, wie es möglich ist, eine Scheindiskussion über Sozialschmarotzer zu führen, wenn selbst in den besseren Zeiten das Verhältnis von offenen Stellen zu Unterbeschäftigten derart deprimierend ist. Und kaum empfindet die Lobby der Arbeitgeber ein Problem bei der Besetzung vakanter Stellen, ist das Thema sofort vom Tisch. Dann wird vollkommen klar, daß es gar keine Stellen gibt für die angeblich Faulen, daß es für die allermeisten Langzeitarbeitslosen niemals eine Stelle geben wird. Ein Millionenheer von Geringverdienern und Arbeitslosen steht einem äußerst überschaubaren Bedarf an hoch spezialisierten Fachkräften gegenüber, für den nicht ausgebildet wurde.

So sieht es aus, wenn alles einer Marktstrategie untergeordnet wird, die den Interessen Einzelner folgt. Die Menschen verarmen, und der Markt ist in keiner Weise fähig, die Bedingungen für seinen eigenen Bestand zu erfüllen. Wie wäre es also, in Zukunft die Grundregeln des Wirtschaftens wieder an soziale Kategorien und langfristige Stabilität zu binden? Bis zur nächsten Krise kann ja einmal darüber nachgedacht werden.

Von einem “80-Millionen-Auftrag” spricht die FR. Diesen habe Bilfinger Berger in Kochs Regierungszeit erhalten. Wenn ich mir so anschaue, wie eng Fraport und Bilfinger Berger ‘kooperieren”, nehme ich an, daß das nicht alles ist.

Es reicht freilich, um den ex-Ministerpräsidenten mit Gold aufzuwiegen. Was ich in diesem Zusammenhang gar nicht verstehe, ist die Formulierung der Vorsitzenden von Transparency International Deutschland, Edda Müller:

„Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass dies eine Belohnung für früheres Wohlverhalten sein könnte.“

Heißt das, man sollte solche Vorgänge besser vertuschen? Indem man etwa drei Jahre mit der Belohnung wartet?
Transparenz ist ohnehin nicht das Problem der neuen Art von Korruption. Jeder erkennt sie als solche – außer Gesetz und Justiz. Vielleicht beginnen wir damit, daß sie so genannt werden darf. Tatsächlich begibt sich aber jemand, der Koch jetzt “korrupt” nennt, auf sehr dünnes Eis.

Es wird herzlich ungeniert regiert in diesen Zeiten. Die Funktionäre treten immer früher zurück und werden nicht nur mit Pensionen, sondern auch noch mit immer höher dotierten Posten belohnt. Das stinkt selbst dann schon nach Korruption, wenn sie einmal nicht derart offensichtlich ist.

Der Verein kritischer Faschisten sieht das grundgesetzlich garantierte Recht auf Freizügigkeit in Gefahr, wenn sie nicht in Polen einmarschieren dürfen. “Wenn wir von der Oder aus nur noch nach Westen laufen dürfen, ist die Demokratie am Ende”, sagte ein Sprecher.

Mann, schon wieder nicht witzig, was ist das heute für ein Tag?
Der Axel-Springer-Verlag sieht die Pressefreiheit in Gefahr“. Ja nee ist klar, Kollegen!

Angesichts steigender Saatgutpreise schlägt FDP-Vizevollpfosten Bürgerfeind eine steuerliche Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe vor. Gegenfinanziert wird diese Maßnahme durch eine Spermasteuer, die pro vollzogenem Geschlechtsakt zu entrichten ist. Die Abrechnung erfolgt jährlich durch ein einfaches Formular. Davon ausgenommen sind Geschlechtsakte in dafür vorgesehenen Wirtschaftsbetrieben, damit die Nutten nicht nach Polen auswandern.
Das ist albern? Mitnichten, denn das hier meinen die ernst!

Knapp 30% der Deutschen rauchen. Dies ist eine Bevölkerungsgruppe, die man nicht wirklich kleinreden kann. Normalerweise wäre eine solche Gruppe eine Klientel, auf die Politik und Medien Rücksicht nehmen müßten, denn wer so viele Leute ärgert, ist nicht gut beraten.
Bei den Rauchern ist das etwas anderes, die sind nämlich Freiwild. Die abenteuerlichsten ‘Argumente’ kursieren, wenn es darum geht, diesen Menschen Übles nachzusagen, da gelten auch die Regeln des Anstands nicht mehr, die für alle anderen eingefordert werden.

smokeWürde man irgendwem vorwerfen, seine Krankheit belaste die Haushalte? Den Rauchern wirft man es vor – übrigens zu Unrecht. Würde man irgendeiner Bevölkerungsgruppe vorwerfen, sie benähme sich durchweg und immer rücksichtslos? Raucher hören sich das dauernd an. Würde man anderen Gruppen das Recht nehmen, sich öffentlich unter ihresgleichen zu versammeln, um etwas zu tun, das Abwesende stören könnte? Raucher derart zu bevormunden ist selbst dann in Ordnung, wenn es gegen Freiheitsrechte, Sinn und Verstand verstößt. Raucher sind Geächtete.

An ihnen kann man frei experimentieren, sie lassen sich herrlich einfach vom Rest der Bevölkerung diskriminieren. Das hat natürlich seine Gründe:
Raucher sind selber schuld, und dafür darf man sie büßen lassen. Was immer man irgendwann dem Rest des Volkes zumuten will, ann man zuerst an den Rauchern ausprobieren. Verbot, Zwang, Plünderung, das geht in Ordnung, weil doch niemand Raucher sein muß. Sie können ja konvertieren und tun sich noch etwas Gutes damit.

Sie können ja konvertieren

Es gibt kein Interesse der Medien mehr, an Rauchern auch nur ein gutes Haar zu lassen. Die Nichtraucher sind in der Mehrheit, und vor allem herrscht ein Werbeverbot für Tabak. Wer je wissen wollte, welchen Einfluß Werbekunden auf die Inhalte der Medien haben, nehme sich alte Medienprodukte vor und vergleiche sie mit der Zeit nach dem Werbeverbot. Wo früher Gefälligkeitsartikel und qualmende Helden das Bild prägten, wird jetzt zum Halali auf den quarzenden Abschaum geblasen. Es gibt kein Argument mehr, das die Raucher entlasten darf. Nicht einmal das, daß sie eine der größten Minderheiten darstellen. Moralisch sind sie vollkommen entrechtet.

Die nicht Betroffenen nehmen das kaum wahr, bei ihnen kommt die Dauerbeschallung einfach ungefiltert an. Das ist halt die öffentliche Meinung, und wer dagegen redet, ist ein rücksichtsloser Nikotinjunkie, der unser aller Leben gefährdet. Das ist der Stand der Debatte. Tatsächlich findet sich keine vergleichbare Diskriminierung anderer Minderheiten, die so ungehemmt und offiziell stattfindet. Die fundamentalen politischen Gefahren, die darin bestehen, werden nicht gesehen, weil alles, wirklich alles, was das Mobbing gegen Raucher eingrenzen würde, als Argument des Teufels und der verblendeten Satanisten gilt.

Moralisch entrechtet

So ist es auch gar kein Problem, wenn die Verfassungsmäßigen Rechte der Raucher einmal mehr verletzt werden und sie gleich anschließend wieder einmal für die Interessen des Kapitals bluten müssen. Ein Drittel der Hartz-IV-Empfänger wurde jüngst einfach per Gesetz zu Nichtrauchern erklärt, was dazu führte, daß allen der Regelsatz gekürzt wird. Dies hätte vermutlich sogar unter Nichtrauchern einen Aufschrei gegeben, hätte es eben nicht die Hartzer getroffen – jene andere Minderheit, die ebenfalls als selbstverschuldet asozial gilt. Divide et impera.

kippeDer Regierung gefällt es wieder einmal nicht, daß die Dinosaurier der Großindustrie für einen Teil dessen aufkommen, was sie zur Unweltzerstörung beitragen. Und während man den Massen verbietet, Glühbirnen zu verwenden, werden “energieintensive Betriebe”, vulgo Dreckschleudern, steuerlich entlastet. Was durch den großen Schlot geht, dafür kommt jetzt der kleine Raucher auf.

Darüber wird sich niemand aufregen, obwohl es eine der frechsten direkten Umverteilungen von unten nach oben ist, die wir in diesen Zeiten erleben. Man kann ja doch nichts tun, und wenn es die Raucher trifft, wollen wir auch gar nicht. Denen kann man nämlich gar nicht brutal genug ans Fell gehen.

Gleich zum Chef avanciert der Freund sparsamer Leistungsträger, Roland Koch, bei Bilfinger Berger. Hatten wir in den Kommentaren zuletzt spekuliert, ob er bei der Commerzbank einsteigt (der die wahnsinnigen Steuerfahnder vom Hals gehalten wurden) oder wieder bei Fraport (als Lohn für den Flughafenausbau, die PR dafür und frühere Wohltaten), so kam es jetzt ganz anders.

Ganz anders? Von wegen! Kurze Rückblende: Das Wort vom “Wortbruch” entstammt eigentlich der Schelte gegen Kochs Lüge, es werde ein Nachtflugverbot geben bei einem Ausbau des Frankfurter Flughafens. Koch wird aber von vornherein gewusst haben, daß sich der Ausbau dann kaum gelohnt hätte.

Nachdem er so also das Projekt zur Freude der Investoren vorangebracht hat, darf er jetzt bei denen einsteigen, die (mit ihren Tochterfirmen) ein ganz großes Rad drehen bei den Bauarbeiten und dem Drumherum. Eine Schnellrecherche förderte dies, dies und dies hier zutage. Unterstützung für Bilfinger Berger ist übrigens bitter nötig, denn der Pfusch am Bau hat die Firma eigentlich jegliches Vertrauen in der Öffentlichkeit gekostet. Da kommt der brutale Aufklärer ja genau rechtzeitig.

Ein Abgrund von Landesverrat” war für Bundeskanzler Adenauer und seinen Verteidigungsminister Strauß ein Artikel des “Spiegel” über die Verteidigungsdoktrin und den Zustand der Bundeswehr im Jahr 1962. Die Redaktionsspitze einschließlich des Chefs Rudolf Augstein wurde verhaftet. Diese Konfrontation von freier Presse mit einer bedingt demokratisch gesinnten Regierung war einer der größten Skandale der Bundesrepublik Deutschland, aus der das “Sturmgeschütz der Demokratie”, Augsteins Spiegel, als klarer Sieger hervorging.

Seitdem hat sich die Landschaft enorm verändert, allen voran der “Spiegel”. War dessen Stärke und in der Tat eine Demokratie sichernde Funktion dessen investigativer Journalismus und eine entschieden kritische Haltung gegenüber den Eliten – bis in die späten 80er Jahre hinein – , so hat sich dies inzwischen völlig verkehrt. Spätestens mit dem Chefredakteur Aust und dessen Kampagnen für Angela Merkel war Kritik nicht mehr en vogue und wurde durch Hofberichterstattung ersetzt. Anstatt Skandale aufzudecken, wurden Durchhaltejournalismus für das Volk geboten und Pferdegschichten für die Oberschicht.

Vom Sturmgeschütz zum Pustefix

Der Mangel an investigativem Journalismus, teils aus Kostengründen, teils aus einem devoten Zeitgeist, betrifft freilich nicht nur das ehemalige Nachrichtenmagazin. Es zählt, was sich verkauft, und da setzt man heute auf Entertainment, Glamour und Effekt. Information ist teuer und sperrig, und für die paar Gelegenheiten, bei denen sich Recherche auszahlt, will man nicht dauerhaft investieren und teures Personal beschäftigen.

Man kann ja auch zukaufen und darauf setzen, daß andere den Job machen, zum Beispiel Wikileaks. Besser geht’s eigentlich nicht, denn die liefern Empörungspotential auf allen vermarktbaren Ebenen. Schockierend, was da in diesem Krieg passiert! Schlimm, daß die einfach Geheimnisse verraten! Furchtbar, wie sie das Leben von Soldaten gefährden! Toll, wie die aufklären!

Lieber Blut und Samen

Darum herum tolle Geschichten, von tumben Geheimdienstlern in die Welt gesetzt, aber man nimmt ja, was man kriegt: Ist der Chef von Wikileaks ein Vergewaltiger? Auch der komplette Schwachsinn ist eine Story, wenn Blut und Samen fließen. Ja, und vielleicht findet man den einen oder anderen Protagonisten bald tot auf, unter mysteriösen Umständen. Es bleibt spannend.
Der “Spiegel” fragt derweil bei den Folterern nach, ob ihnen die Enthüllung ihrer Arbeit behagt.

Dem gegenüber jazzt unser Café-Journalismus sich einen Baron zum Superhelden hoch, der übrigens zufällig Verteidigungsminister ist. Was ich inzwischen über die Garderobe des Gelhaar-Beaus weiß, reichte aus für einen Artikel in einem Modemagazin. Was das Volk über seine Amtshandlungen weiß, reicht offenbar nicht einmal für einen Zweizeiler. Die Tanklaster-Affäre, in der Guttenberg von einem Fettnäpfchen ins nächste getreten ist, ist bereits vergessen. Ganz nobel hat er einige Bauern und Offiziere geopfert und ist zum nächsten Photoshoot gejettet.

Der Poser

Schicke Bilder in Panzerweste machen ihm Spaß, ebenso wie semantische Spielchen. Der letzte Hit ist “nicht-internationaler bewaffneter Konflikt” als Sprachregelung für den Krieg in Afghanistan. Zuvor hatte es neue Orden gegeben und Durchhalteparolen. Ein Abzug als “Selbstzweck” komme nicht infrage, das Land werde sich aber “nie absolut stabilisieren lassen“. Eine Haltung, wie er sie in seinem Maßzwirn so gern zur Pose perfektioniert, ist politisch schlicht nicht vorhanden. Ein einziges Blabla, keine Spur von Linie oder Kompetenz.

Ausgerechnet dieser Poser, den das Töten und Sterben im Nirgendwo nur als Folie für seine Selbstdarstellung interessiert und der sich gar nicht erst die Mühe macht, einen Bezug zur entsetzlichen Wirklichkeit herzustellen, ist der Liebling der hiesigen Medien.

Um den Dreck und die unfassbar brutalen Machenschaften, die uns noch wahlweise als “Verteidigung” der Demokratie oder “Aufbau” eines Landes verkauft werden, kümmern sich derweil andere. Die Freaks aus dem Internet, deren lebensgefährliche Arbeit man jederzeit ausbeuten oder für illegitim erklären kann. Wikileaks wäre unnötig, gäbe es noch verantwortungsbewußten Journalismus. Und es ist vermutlich wirkungslos, weil es eben keinen gibt.

Ich hatte bereits darüber spekuliert, welche Wirkung der gewalttätige Sparkurs der britischen Regierung auf die Stimmung im Volk haben würde. Nach dreißig Jahren Sparkurs und Kahlschlag im Sozialetat jetzt einen radikalen Sparkurs und Kahlschlag im Sozialetat zu veranstalten, ist ja schon orginell. Daß aber massenhaft Soldaten entlassen werden sollen, macht die ganze Sache noch interessanter. Ich habe mich gefragt, ob die Jungs und Mädels dann wenigstens ihre Waffen behalten dürfen.
Dieser Sparkursk hier geht dann aber doch zu weit. Die Kiste hätte man doch noch prima gebrauchen können.

Ich habe in meiner Jugend so einige Abende verbracht, an die ich nicht gern erinnert werden möchte. Auch gab es Aktivitäten, auf die ich heute weniger stolz wäre. Das eine oder andere hat durchaus mit dem Gebrauch von Drogen zu tun, wobei sich vor allem die Wirkung des Alkohols gern als äußerst unvorteilhaft erwies.

Die Kommentare nach vollbrachter Fehlleistung fielen demnach unterschiedlich aus. Meist blieb es bei einem “War hart gestern”. Ich persönlich hatte nie das Mißvergnügen fragen zu müssen: “Das Habe ich getan?!”, ein Filmriß ist mir erspart geblieben. Es gibt allerdings durchaus auch in der Vorstufe Vorkommnisse, die man gern schneller verdrängen möchte, als die holde Psyche dies zu leisten imstande ist. Fazit: “Erinner’ mich nicht dran!”

Die Fehlbarkeit der anderen

Nun gibt es Menschen, die sich für irre wichtig halten, für generell unfehlbar oder die aus einem anderen Grund nicht den Arsch in der Hose haben, zu ihren Taten zu stehen. Denen keine Ausrede zu schal ist und die völlig immun sind gegen das Gefühl des Fremdschämens, weil sie selbst sich durch eine Schamlosigkeit auszeichnen, die sie der Moral enthebt. Der Moral nämlich, die für den Pöbel gedacht ist und eben nicht für die Besserträger und Leistungsverdiener.

Wenn der Herr einen Furz läßt, hat das Gesinde sich zu entschuldigen, weiß der Adelssproß und der, welcher sich für einen hält. Ganz bemerkenswert hebt diese Haltung auf eine Weise alte Klassengegensätze auf. Ob Staatsrealsozialismus oder Westkapitalismus, den Funktionär an sich adelt seine gesellschaftliche Stellung. Er ist der Gleichere unter Gleichen. Und weil das so ist, weiß er stets, wo alle Fehlbarkeit entspringt und wieder mündet: Bei den anderen.

Beton im Weltbild

Hier ist in der Tat etwas zusammengewachsen. Mit der FDJ-Funktionärin Angela “Erika” Merkel als Vorbild läßt sich noch die Gesäßfalte ausbügeln, die mitten durchs Gesicht läuft. War der DDR-Führung jederzeit bewußt, daß Konterrevolutionäre und westliche Ultra-Provokateure für jeden Mißstand, das schlechte Wetter und fehlendes Obst verantwortlich waren, so ist auch den “Jungen” in der Union schon klar, wer da nur auf den Teppich gekotzt haben kann: Der “Gegner”! Die “Stimmungsmache der Gegner” ist besoffen Auto gefahren und hat randaliert.

Daß man den unsichtbaren Feind selbst noch für die eigenen Saufgelage und die unappetitlichen Begleiterscheinungen verantwortlich machen kann, muß einem erst mal einfallen. Das betoniert bornierte Weltbild macht’s möglich. Respekt!

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