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Mai 2010


Horst Köhler tritt also zurück. “Aus Mangel an Respekt” vor seinem Amt, meint er. Das ist originell, denn erstens hat auch ein Bundespräsident nicht den Anspruch, ohne Ansehen der Person und seiner Handlungen “respektiert” zu werden, und zweitens ist die Kritik an ihm und seinen Aussprüchen mehr als berechtigt. Was soll das überhaupt heißen, “Respekt vor dem Amt”? Hat irgendwer etwas gegen die Einrichtung eines Staatsoberhaupts? Ist Heinrich Lübke durch Richard von Weizsäcker rehablilitiert oder Karl Carstens durch Johannes Rau?

Der Bundespräsident hat eine überparteiliche Kontrollfunktion in der Republik und keine Richtlinienkompetenz, die eben der Kanzlerin obliegt. Seine Stellungnahmen zum politischen Tagessgeschäft und der Großwetterlage haben traditionell den Charakter eines Denkanstoßes und sollten daher entsprechend diplomatisch ausfallen. Was Köhler im Sinne der Militarisierung der Außenpolitik zu Protokoll gegeben hat, war weder diplomatisch noch präsidial. Gerade als ehemaliger Direktor des IWF mußte ihm klar sein, daß sein Wort von der “Wahrung der Interessen” schon richtig fehlinterpretiert werden würde.

Jetzt ist er also beleidigt, weil die Öffentlichkeit ihn ernster nimmt als er selbst sein Amt. Eine Freundin sagte mir eben: “Das ist doch nur konsequent, zurückzutreten, wenn er sein Amt nicht respektiert.” Dem ist nichts hinzuzufügen.

Unter dem Vorwand von Hilfslieferungen in ein Gebiet, in dem kein Notstand besteht, wollten türkische Schiffe mit Waffenlieferungen (Rollstühle, Fertighäuser) in den Gaza-Streifen vordringen. Die Elite der israelischen Landesverteidigung konnte dies verhindern. Die landesübliche Folklore, die dabei zur Anwendung kam, stieß auf Unverständnis, da die zivilen Opfer keine Palästinenser waren.
Die Bundesmarine kreuzt derweil im Rahmen des UNIFIL-Mandats vor dem Libanon, um Israel vor Angriffen zu schützen.

Niemand soll sagen, Schwarzgelb stemmte sich nicht gegen die drohende Katastrophe. Die Politik steht mit dem Rücken zur Wand, der Sachzwang am Ruder und die Demokratie auf der Planke. Demagogen von links und ganz links fordern unausgesprochen das Unaussprechliche. Hatten die Wähler in Hessen, in Bayern und im Bund zuletzt Schwarzgeld-Koalitionen mit eindeutigen Mehrheiten gewählt, ist plötzlich der demokratische Konsens in Gefahr. Schlimmer noch: “Höhere Steuern oder Abgaben würden die Philosophie des Koalitionsvertrages auf den Kopf stellen“, warnen einmütig Horst Seehofer und Jörg-Uwe Hahn.

Ausgerechnet einer, der sich kofferweise für die Philosophie des Guten persönlich geopfert hatte, will Freiheit und Demokratie gefährden, indem er dem Steuersozialismus das Wort führt. Wolfgang Schäuble schwingt sich auf, zum gefährlichsten Mann Europas zu werden.
Der Widerstand aber schläft nicht. FDP-Lindner ist verzweifelt: Der oberste Milizionär seiner Partei will die Mittelschicht entlasten, sagt er. Wenigstens den Mittelstand. Oder den oberen Mittelstand. Einen Teil wenigstens.

Regierungsgenosse Rösler arbeitet daran, zu retten, was zu retten ist und kämpft gegen den roten Finanzminister, indem er wenigstens diejenigen verschont, die am meisten investieren könnten.

Die Truppen formieren sich zum letzten Kampf gegen den Linksrutsch. Wo bleibt der Ruck im Volk, den heroischen Rettern beizuspringen? Wollen wir ernsthaft darüber diskutieren, ob wir einen Urlaubstag opfern sollen, wenn die Nation in Gefahr ist? Soll ein Minderleister sich an seine beheizte Wohnung klammern dürfen, wenn es im Nachbarland eine günstigere Wohung gibt? Ist es unzumutbar, ein Jahr später in Rente zu gehen, wenn man ohnehin zwei Jahre länger lebt als vorgesehen?

Wir sind ein Volk. Wir haben den Sozialismus friedlich besiegt. Wir haben gerade gestern Nacht den Sieg über die slavischen Völker in der Endschlacht des Sängerwettbewerbs vernichtend errungen. Wir werden in zwei Wochen – geschwächt zwar, aber voll des Mutes – antreten, um den Völkern der Fußballwelt mannhaft die Stirn zu bieten.
Alle, die wir unsere Trikolore dabei schwenken, sollen uns deutlich machen, wofür die Farben stehen. Das Rot ist unser Blut, mit dem wir dem Sozialismus trotzen. Wir müssen bereit sein zu neuen Opfern.

Geht mir ja mir ja meilenweit irgendwo vorbei. Wenn sich Menschlein feiernd einfinden, um diesen Blödsinn zu goutieren, dann gibt es sicher Schlimmeres, aber man muß ja nicht alles mitmachen. Nun war ich eben am Kiosk, wo die Großbuchstaben ausliegen und mußte schallend lachen. “Sing, Lena sing!“?! Wie bekloppt ist das denn? Was wird sie wohl sonst dort zu tun gedenken? Daß mir dazu spontan “Burn wareheouse, burn!” einfiel, weist auf eine merkwürdige Organisation meiner Synapsen hin – oder gar auf latente Aggression?

Unschöner übrigens noch, daß SpOn etwas von einem russischen Yeti fabuliert, gegen den “unsere” anzutreten hätte. Ganz wunderbar, wie da die Klaviatur nationalistischen Ressentiments eine hauchzarte rassistische Note in den Akkord einflicht. Das ist Rock’n Roll, wie ihn nur die ‘Bild am Montag’ darbringt.

Naja, bekloppt kann ich auch selber, zumal musikalisch. Ich bin nicht nur Opfer permanenten Ohrwurmbefalls, ich neige auch zu spontanen Google-Übersetzungen, die ich still vor mich hin singend erdulde wie der Flagellant die Geißel. Das hört sich dann etwa so an:

Geh’ nicht rum heut Nacht,
sonst wirst du umgebracht.
Da ist ein schlechter Mond am steigen dran.

Und jetzt alle …

Das übliche Niederschreiben des politischen Gegners, könnte man meinen, wenn SpOn über Kämpfe, Intrigen und Schiedsgerichtsverfahren in der “Linken” berichtet. Ich sehe das in diesem Fall allerdings anders, wobei mir herzlich wurscht ist, welche Motive hinter dem Artikel stehen. Er fällt nämlich eher moderat aus. Es ist derzeit auch nicht Wahlkampf, daher kommt der Schuß zur rechten Zeit.

Allein die Linke in NRW ist ein derartiger Verein von Gockeln, Intriganten und Brutalrechthabern, daß es dort dringend geboten ist, sich über eine Kultur der Diskussion zu einigen. Wenn linke Politik eines nicht braucht, sind es Freaks, die kommunistische Ikonen anbeten und solche, die sich innerparteilich aufführen wie die Stalinisten. Und schon gar nicht die Mischung aus beidem. Anstatt sich wie die Straßenköter um die vermeintliche Macht im Revier zu kloppen, ist es an der Zeit, die wirklichen Machtverhältnisse wieder in den Blick zu nehmen. Der Feind steht rechts, ihr Wichshähnchen!

Bleiben wir noch für einen Moment im Schützengraben. Aus Sicht von Qualitätsbloggern ist dem Journalismus gar nicht drastisch genug vor Augen zu halten, wie arrogant, abgehoben, einäugig, tendeziös und inkompetent er daherkommt. Vom “Netz” haben Journalisten schon gar keine Ahnung, sind unfähig, einen brauchbaren Link zu setzen, hinken Bloggern hinterher und bedienen sich schamlos und ohne Angabe an deren Inhalten. Ansonsten schreiben sie eh alle nur dieselben Agenturmeldungen ab. Gern ungeprüft.

Aus Sicht der Journalisten sind Blogger bloß ihre Zweitverwerter, recherchieren nicht, es sei denn bei Google, wollen alles umsonst haben, sind aggressiv, extremistisch und ungehobelt, verbreiten mit Vorliebe Verschwörungstheorien und glauben, das Internet habe immer recht, egal, welcher Unsinn da anonym gezwitschert wird. Außerdem sind nur Journalisten wahre “Gatekeeper”, die ihren Lesern auf seriöse Weise die unübersichtlich Nachrichtenlage zurechtlegen. Blogger haben hingegen nur die eigene Meinung im Sinn.

Können wir besser

Tatsächlich treffen alle diese Vorwürfe zu. Sie treffen sogar in einem Maße zu, die bemühten Vertretern beider Seiten peinlich sein darf. Ein Grund, sich zu bessern und sich an denen hüben und drüben zu orientieren, auf die möglichst viele der genannten Vorwürfe eben nicht zutreffen.

Berufsjournalisten, die immer seltener werdenden Vertreter jedenfalls, die davon leben können, sind in einer komfortablen Situation. Sie werden eben für ihre Arbeit bezahlt. Es sollte sich verstehen, daß sie dafür entsprechende Qualität abliefern.
Blogger sind in einer komfortablen Situation. Niemand schmeißt sie raus, wenn sie etwas abliefern, das den Limbo unter der Türkante schafft. Niemand sagt ihnen, was und wie sie zu schreiben haben.

Die Organisation der Redaktionen mit Zugang zu Nachrichtengenturen und einer gewachsenen Arbeitsteilung versetzt sie in die Lage, täglich relevante Artikel zu veröffentlichen, die auf Lesergewohnheiten und -erwartungen abgestimmt sind.
Die Freiheit der Blogger ermöglicht ihnen, schnell und gezielt Stellung zu beziehen und abgeschliffene Routinen durch überzeugende persönliche Statements zu ergänzen, teilweise zu ersetzen.

Wir wollen gelesen werden

Eines eint beide Seiten: Wir wollen gelesen werden. Diejenigen unter uns, die ihr Handwerk verstehen, schaffen dabei den Spagat, zu informieren und Stellung zu beziehen. Beides ist erwünscht und nötig. Daß längst auf beiden Seiten Bericht nicht mehr von Meinung(smache) getrennt ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Es kommt darauf an, die Leser nicht zu belügen und auszutricksen. Die Meinung muß erkennbar sein. Das gelingt Journalisten und Bloggern durch handwerklich saubere Artikel und die Wiedererkennbarkeit der Autoren. Mit unterschiedlicher Gewichtung freilich. Wahre “Gatekeeper” zeichen sich gerade dadurch aus, daß sie ihre ganz persönliche Perspektive anbieten. Daran können sich Leser am besten orientieren.

Die unterirdische Qualität geifernder Rechthaber auf beiden Seiten kennen wir von Boulevard schon lange, darin unterscheidet er sich nicht von den beleidigenden Tiraden schlechter Blogger. Das muß sich niemand vorwerfen lassen, der erst nachdenkt und dann schreibt. Ein erster Tabakskrümel in der Friedenspfeife: Rauchen wir diejenigen darin, die so etwas für ihr Handwerk halten.

Heißt “Meinung”, ist meine

“Meinung” ist allerdings etwas, das man sich erarbeiten muß. Journalisten müssen sie sich offenbar leisten können, es sei denn, sie wabert im Mainstream. Gewisse Professoren und ihre ruinösen Weisheiten werden unkritisch oder unkenntlich bis zum Eimern zitiert. Blogger wissen hingegen etwa, daß Marx immer Recht hat. Was soll das? Meine Meinung heißt so, weil sie meine ist. Zweiter Vorschlag: Schreibt das, was ihr selber denkt, macht es kenntlich. Laßt es zu, fördert es, daß Eure Angestellten auch so verfahren, zitiert höchstens in jedem zehnten Artikel oder Kommentar denselben Guru. Werdet euch darüber klar, woher ihr eure Weisheiten bezieht.

Es liegt eine gähnende stilitistische Kluft zwischen holzmedial sozialisierten Journalisten und meinungsstarken Freischreibern. Die einen sind z.T. bis zur Totenstarre seriös, die anderen schlagen schon beim virtuellen Wetterbericht gern über den Strang. Beides hat seine Attraktivität, kann aber auch abschrecken. Lassen wir das sich doch einfach entwickeln. Journalisten brauchen viel mehr Mut, um nicht stilsitisch völlig zu veröden. Blogger viel mehr Beherrschung, um aus dem persönlichen Engagement einen Stil zu entwickeln und nicht bloß ihren Unmut heraus zu rotzen.

Zum Abschluß eines unvollkommenen Artikels habe ich einen Vorschlag an die angestellten Schreiber bezüglich des Umgangs mit “uns” und dem mit dem großen Netz. Da könnt und müßt ihr noch eine Menge lernen. Ich bin im Gegenzug sehr geneigt, mir fundierte Kritik von der anderen Seite anzuhören.
Lernt endlich, Links zu setzen! Derzeit ist die Sueddeutsche ganz vorn bei einem Slapstick, den SpOn vorgemacht hat, nämlich völlig sinnfrei zufällige Verlinkungen in ihren Artikeln zu streuen, die auf preiswürdig irrelevante Suchabfragen der eigenen Site verweisen. Wen etwa interessiert das Thema “Rücken” bei der Lektüre eines Artikels zur Politik, bloß weil das Wort dort auftaucht?

Autorenprinzip, ja bitte!

Lest Blogs, wie Blogger Zeitungen lesen, verlinkt sie und würdigt unsere Arbeit, wie wir eure würdigen. Ganz en passant könnt ihr dabei diejenigen fördern, die eben nicht bloß pöbeln. Stellt eure Qualität heraus, indem ihr uns in Grund und Boden schreibt. Wenn die Kriterien, die zur Anwendung kommen, nachvollziehbar sind, kann dadurch ein gegenseitiger Lernprozeß in Gang kommen, von dem die Publizistik allgemein profitiert.

Und trennt euch von dem Vorurteil, den doofen Bloggern damit zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wer nur einmal erwähnt wird, weil er Schrott gepostet hat, ist damit wahrlich nicht geadelt. Und das aktuelle Beispiel zeigt mir, daß ihr gigantischen Nachholbedarf habt. Eure Leser klicken Links nämlich kaum an, weil sie offenbar gar keine relevante Information erwarten. Keine hundert Leser sind dem Link zu meinem Blog im Leitartikel der von mir sonst sehr geschätzten Frankfurter Rundschau gefolgt. Wenn ich selbst verlinke, kommt da erfahrungsgemäß wesentlich mehr zusammen, obwohl ich deutlich weniger Leser haben dürfte.

Ich bin es leid, entweder pauschal als pöbelnder Nerd behandelt oder – wenn es einer gut mit mir meint – als auch-Journalist vereinnahmt zu werden. Unser Endgegner Jörges spricht vom “Autorenprinzip“, das wäre ein guter Ansatz, könnte ich der ausgesprochenen Absicht nur vertrauen. Ich will ihm und den Kollegen gern Kredit geben. Machen wir was draus!

Die Frankfurter Rundschau hatte einen Link auf mein Blog gesetzt, weil ich schon vor fünf Tagen die Aussage Köhlers abgetippt und online gestellt hatte. Das wurde hier in den Kommentaren mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.

Inzwischen ist der Artikel der FR geändert worden und der Link wieder draußen. Die Kommentare unter dem Artikel wurden also zum Teil zu einem anderen Inhalt abgegeben. Nicht einmal ein Hinweis auf Blogs als Informationsquelle ist mehr zu finden. Ebensowenig einer darauf, daß der Inhalt geändert wurde. Dieser Umstand ist zwar deutlich weniger relevant als das Verschwinden der Aussage Köhlers, wirft aber die Frage auf, ob es gängige Praxis ist, Artikel zu ändern wie es einem gerade paßt und darauf zu hoffen, daß es keiner merkt.

Konkret gebührt mir die Aufmerksamkeit ohnehin nur als pars pro toto – andere waren schon früher raus mit der Meldung und wieder andere engagierter als ich. Daß aber auch die FR erst mittelbar und letztlich durch die Blogsphäre aufmerksam wurde, hätte durchaus stehen bleiben dürfen.
Im übrigen sind mir die 96 Leserlein lieb und teuer, die im Laufe des Tages auf diesem Weg zu mir fanden. Wenn ich einen Link auf die FR setze, haben sie drüben allerdings garantiert mehr davon. Kurzum: Was als scheinbar erfreulicher Umstand begann, endet unkollegial und schlicht peinlich.

Die haben’s nach fünf Tagen auch schon bemerkt. Allerdings geben sie keinen Hinweis auf die offenbar als “üblich” eingestufte Manipulation des Inhalts bei dradio. Man kann nicht alles haben, gelle?

Mein Einfluß auf die deutsche Politik ist noch größer als ich ohnehin schon annehmen durfte. Roland Koch trat bekanntermaßen zurück, wenige Tage nachdem ich mich eindeutig zu seinen Qualitäten geäußerst und ihn als völlig inakzeptabel für höhere Ämter gebrandmarkt hatte. Ein Bauernopfer, wie sich nunmehr herausstellt.

Denn kaum referiere ich über die Abwegigkeit revolutionärer Ansätze und analysiere die Situation dahingehend, daß die Krise nur friedlich und auf den Grundsätzen der Verfassung(en) zu überwinden ist, schlagen meine Gegner zurück.

Die Postille für neoliberale Reformpolitik lehnt sich als Vorposten aus dem Fenster und bereitet das Feld für die Vorrevolution: Sie präsentiert Vorschläge und Möglichkeiten zur Brutalisierung der Knechtschaft des Volkes unter der Knute der Banken und ihrer Großkunden als Resultat des “Sparzwangs”. Die Alternativlosen mögen beschließen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, Hartz IV-Leistungen und Renten zu kürzen.

Flankiert wird dieser Aufruf von einem Diskussionsvorschlag des Saarländischen Mini-sterpräsidenten Müller, man könne eine Luxussteuer einführen. Diese Petitesse ist schon deshalb ein Hohn, weil sie die Oberschicht nicht wirklich trifft. Daß der Politzwerg Müller (CDU) sich als Sozialdemokrat geriert, ist aber umso satirischer zu verstehen, als daß er im Schatten des Abgangs des Intelligenzriesen und Schwergewichts neogerechter Steuerpraxis Roland Koch seine armselige Figur abgeben darf. Es wird dringend ein Unionist gesucht, der, nationalkonservativ und neoliberal, die CDU wieder zu Glanz und Gloria führt.

Wolfgang Schäuble, der in engstem Gefolge des BDI-Präsidenten Keitel schmackhafte Wassersuppe bei harter Arbeit preist, wird es ja nicht mehr ewig machen. Sätze wie
Wir müssen unsere sozialen Sicherungssysteme so ausrichten, dass sie zur Aufnahme regulärer Beschäftigung motivieren und nicht gegenteilige Anreize setzen” müssen schließlich von Funktionären vorgebetet werden, denen man ihren Sadismus auch abnimmt, sonst glaubt das Volk noch, das sei kalter Kaffee oder gar ein neckischer Scherz.

Sie geben es mir jetzt lang und schmutzig. Alles, was ich als dumm, fatal und krisenverschärfend erkenne, setzten sie auf die Agenda. Die Armen werden geplündert, die noch nicht ganz Armen so lange zur Kasse abgeführt, bis sie nämlichem Freiwild angeglichen sind. Wir buckeln weiter für den Export, machen uns damit erst Europa zum Feind und dann wie immer den Rest der exportfaulen Minderleister auf der blauen Murmel. Zurecht wird man den Deutschen vorwerfen, das nicht nur mitgemacht, sondern sprichwörtlich selbst gewählt zu haben. Wenn wir es mitmachen.

Die Herren der Kreuzchendemokratie, die Diener der Herren in den gut sitzenden Anzügen also, lassen es drauf ankommen. In der Überzeugung, von Anfang an die richtigen Parolen ausformuliert zu haben, starten sie das Experiment, wie nahe man sich an eine echte revolutionäre Situation heranregieren kann, wenn der rechte Glaube nur tief genug sitzt.
Begleitend lassen sie durchblicken, daß man zur Erhaltung der Marktmacht die Kampftruppen im Inneren wie im Äußeren aufmarschieren lassen wird. Ich bin zutiefst beeindruckt über die Bemühungen, echte Politik noch interessanter zu gestalten als die weitsichtigen Artikel von Deutschlands einflußreichstem Blogger. Ring frei zur nächsten Runde!

Ausgehend von der Diskussion bei “Kritik und Kunst” habe ich mir ein paar Gedanken gemacht. Das Resultat: Eigentlich müßte ich ein Buch schreiben. Das liest dann bloß niemand.
Die Grundfrage ist die, ob es überhaupt noch Wege aus der Krise gibt und wenn ja, welche. Das ist dann quasi schon ein optimistischer Ansatz, denn da wir ja täglich zu hören bekommen, daß es gar keine Alternative(n) gibt, erscheint es müßig, solche zu erörtern.

Eines vorweg, das scheint einigen Lesern durchaus Schwierigkeiten zu bereiten, obwohl ich es immer wieder durchblicken lasse: Ich bin kein Revolutionär, da bin ich mit Finkeldey völlig einig. Ich bin zwar zutiefst der Meinung, daß sich das wirtschafltlich-politische System völlig in die Sackgasse gerammt hat, dennoch sehe ich keine Perspektive für umstürzlerische Ansätze. Dabei denke ich gar nicht daran, daß wir etwas verlieren könnten, und selbst ‘chaotische’ Übergangszustände schrecken mich nicht – die sehe ich ohnehin auf uns zukommen. Das Problem liegt vielmehr darin, daß nach einem plötzlichen Niedergang einer Kultur oder einer Systemphase die neu etablierten Machtstrukturen keineswegs Besserung versprechen.

Tatsächlich gibt es eine Verfassung mit dem Anspruch auf Demokratie und all die schönen Errungenschaften, die durch nicht verfasste Mächte unterlaufen werden. Was hätten wir nun davon, wenn auch noch der Anspruch aufgegeben würde?
Ohnehin wären die mit den besten Karten diejenigen, die sie heute schon in der Hand haben. Wer sie ihnen aus der Hand schlagen will, darf sicher damit rechnen, schon beim Ausholen eine Amputation zu erleben. Was wir brauchen, sind neue Karten, und die gibt es nur da, wo sie heute schon gemacht werden. Dabei kommt den reformwilligen zugute, daß die Mächtigen sich gerade völlig verzocken und auch Zinken nicht mehr hilft. Sie haben es noch nicht kapiert, aber die Macht des Faktischen wird sich durchsetzen. So der so.

Liquididät – das Schmiermittel der Kultur

In diesem Zusammenhang auch noch einmal kurz zum Problem der Überschuldung: Wie ich bereits im Kommentar nebenan schrieb, halte ich es für das wichtigste Ziel, Liquidität zu erhalten. Im Kapitalismus bedeutet dies, ausreichend Geld zu haben. Alle relevanten Staaten der Erde sind inzwischen in der Situation, hohe Staatsschulden zu haben. Dies bedeutet also, daß das System auf diesen Schulden aufbaut. Will man es erhalten, müssen die Staaten also entweder weiter Schulden machen dürfen oder das System zur Herstellung von Liquidität geändert werden – oder beides.

Utopisch gedacht, wäre ein wichtiger Fortschritt der Menschheit der, Liquidität ohne Geld herzustellen. Was bedeutet aber “Liquidität”? Es geht ums Fließen und Funktionieren. Im Kapitalismus ist Geld das Schmiermittel, das den Apparat am Laufen hält. Es ist das Potential, zu investieren. Solange Geld da ist, arbeiten die Menschen dafür und organisieren diese Arbeit. Fehlt das Geld, kommen diese Prozesse zum Stillstand.
Die Aufgabe des Staates besteht nun darin, diesen Stillstand zu verhindern und eine (sinnvolle) Aktivität zu erhalten: “Weder die Bäume sind weg, noch die Häuser, die Arbeitskraft oder die Bodenschätze, wenn ein Staat ‘pleite’ ist.” Das Systemversagen führt ‘nur’ dazu, daß nichts mehr daraus gemacht wird.

Wirtschaft vs. Ordnung

Die Staaten, die in einer kapitalistischen Wirtschaft dafür sorgen sollen, daß die Gesellschaften nicht kollabieren, orientieren sich also grundsätzlich daran, unter den gegebenen Bedingungen für Liquidität zu sorgen. Der dumme Fehler besteht nun darin, die Gesetze der Geldwirtschaft über die Bedürfnisse der verfassten Ordnung zu stellen. Dabei haben Staaten durch das Recht auf Besteuerung und sogar Enteignung alle Möglichkeiten, den schlimmsten Fall zu verhindern. Obdendrein besteht keinerlei Recht auf Profit, wenn damit die Ordnung gefährdert wird – im Gegenteil. Der Gesetzgeber hat das Recht und die Pflicht, sich gegen ein Wirtschaftssystem zu stellen, das seinen Bestand gefährdet.

Es ist freilich kein erfolgversprechender Ansatz, von Staats wegen ein anderes System inmitten verflochtener Beziehungen einfach anzuordnen. Jede Änderung muß so viel Rücksicht auf bestehende Strukturen – auch auf Basis ungerechter Verteilung – nehmen, daß er nicht die Zustände heraufbeschwört, die er zu verhindern trachtet. Das bedeutet aber exakt, daß er nicht mehr als unbedingt nötig zur Erhaltung dieser Strukturen veranlaßt und mindestens so viel wie nötig umsetzt, um die bestandsgefährdende Krise nicht zu verschärfen.

Gemeinwohl geht über Eigennutz

Damit sind wir mitten im Versagen der politischen Klasse, die durch Inkompetenz und Korruption genau das Gegenteil leistet: die Verschärfung der Krise “alternativlos” zu betreiben. Das Versagen des Systems ist nur durch eine weiche, aber entschiedene Abkehr vom falschen Weg zu korrigieren. Das Überleben der Kultur, die von höchst komplexen Strukturen geprägt ist, hängt davon ab. Selbst den Profiteuren kann unter rationalen Gesichtspunkten nicht daran gelegen sein, Bürgerkriege und verheerende Staatskriege zu riskieren. Der ‘Atomkrieg’ ist längst keine Dystopie mehr, sondern ein erschreckend reales Szenario.

Es ist mir durchaus bewußt, daß weder Wirtschaftsbosse noch bescheiden talentierte Staatslenker in diesen Zeiten große Hoffnungen aufkommen lassen, quasi freiwillig eine gangbare Lösung anzustreben. Es ist allerdings nur der Staat, dem diese Leistung anzuvertrauen wäre. Er ist schließlich in aller Regel so verfasst, daß er es kann und muß. Es wäre schon recht hilfreich, wenn diejenigen, die sich noch nicht vollkommen haben verblöden lassen, darauf einigen könnten: Es geht nur friedlich, und es geht nur, wenn Gemeinwohl endlich wieder über Eigennutz geht.

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