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2008


Die vergangene Woche war die erste seit Bestehen dieses Blogs, in der kein neuer Beitrag erschien. Dafür gibt es viele Gründe, ich mag aber nicht dauernd jammern.
Das einzige Thema der vergangenen Tage ist der Terror, mit dem Israel im Gaza derzeit angeblich den der Hamas vergelten will. Die “Argumente” für dieses Vorgehen sind derselbe Schwachsinn, der seit Jahrzehnten behauptet wird, wenn es jemand für opportun hält, Menschen zu töten. Gaza zu bombardieren heißt, eine weitere Generation von hasserfüllten Bombenfetischisten heranzuzüchten. Jeder weiß das. Die Frage ist: warum tun sie es trotzdem und warum gerade jetzt?
Es ist banal: Was mit Bush und Scharon begann, endet mit Bush und Olmert, eine Ära des Blutrausches und der Gewalt als politisches “Profil”. Olmert ist ein abgewirtschafteter korrupter Widerling, der vielleicht hofft, im Pulverrauch unbehelligt abtauchen zu können. Für die anderen ist Wahlkampf. Im gelobten Land pflegt man Wahlen zu gewinnen, indem man “Härte” an die Wand schreibt und den Mord damit sanktioniert. Alles nicht Neues. Die Brutalität und Sinnlosigkeit der Feiertagsveranstaltungen in Gaza erschreckt dennoch. Zumindest, wenn man die politischen Segnungen der Bush-Ära noch nicht als “Normalität” verinnerlicht hat.

And here are the Votes of the Somalian Pirate Jury for 2009:

Januar: Feynsinn wird Kiloblog. Der tausendste Beitrag erscheint und wird frenetisch bejubelt. Die Weltpresse gibt sich alle Mühe, dem Ereignis gerecht zu werden, stellt aber frustriert fest, daß die Welt sich so einfach pressen läßt, wie die Verleger es gern hätten.
Roland Koch wird in Hessen Ministerpräsident auf Lebenszeit. Erster Gratulant ist Gerhard Schröder im Auftrag von Vladimir Putin.
Die Vorratsdatenspeicherung wird offiziell eingeführt. Das Bundesverfassungsgericht meldet “Denial of Service”, weil es inzwischen mehr Klagen und Beschwerden als Gesetze gibt. Schäuble fordert die Einführung einer universellen Gerichtsbarkeit beim BKA.

Februar: Zur Feier des 200. Geburtstages von Charles Darwin werden Gesundheitsuntersuchungen für Hartz-IV-Empfänger und Steuerfahnder verbindlich. Das Ergebnis der Studie: Ein Sozialneid-Gen bestimmt die Karriere. Die Untersuchungen werden auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt.
Die Löhne und Lohnersatzleistungen werden einmalig der Monatslänge angepaßt. Eine Ausnahme gilt für leitende Angestellte der Finanzbranche, aus verfassungsrechtlichen Gründen.

März: Feynsinn wird Kiloblog. Mehr als eintausend Leser besuchen täglich ein vom Aussterben bedrohtes Viech und laben sich am selten gewordenen Naturschauspiel des “Räsonierens”.
Auf der Leipziger Buchmesse stellt Angela Merkel ihr Buch “Gemeinsame Lösung” vor. Volker Pispers randaliert volltrunken und wird auf der Ladefläche eines Bundeswehr-LKW durch die Stadt gefahren und zur Schau gestellt.

April: Endlich wieder dreißg Grad! Zu einer Sponaten Rußparty finden überall in der Bundesrepublik Autokorsos statt. Zugelassen sind nur steuerbefreite Geländewagen deutscher Hersteller.
Auf der re:publica kommt es zu einem Eklat. Versehentlich eingeladene Blogger minderer Prominenz stellen die Existenz mitveranstaltender Götter infrage. Sie werden zu ewigem Jubiläum verbannt.

Mai: Helmut Schmidt wird zum Bundespräsidenten gewählt. Horst Kohl, Köhler, am Köhlersten tritt in die FDP ein und fordert die Abschaffung der Tabaksteuer.
AC/DC müssen die geplanten Zusatzkonzerte in Deutschland absagen, da sie alle verfügbaren Sauerstoffzelte bereits auf der Bühne verbrannt haben.
Notstand bei Feynsinn: Wegen SÜD (Hormonsyndrom) beginnen alle Beiträge mit “Mann, bin ich geil” oder “Mann, bin ich alt”. Tausende neuer Leserinnen (jung) vertreiben hunderte alter Leser (alt).

Juni: Bei den Europawahlen erzielt die CDU einen großen Wahlsieg knapp vor der NPD. Wahlbeteiligung: 17%.
Die letzten britischen Soldaten verlassen den Irak und werden nach Afghanistan verlegt. Vor der Küste Afghanistans kreuzt die deutsche Marine. Franz Josef Jung wird zum neuen “Wüstenfuchs”.

Juli: Die längste Sonnenfinsternis des 21. Jahrhunderts über dem Pazifik wird live übertragen. Dieter Bohlen kommentiert das Schauspiel und erblindet. Seine 16-Jährige Gespielin hat Glück, sie liegt oben.
Bei der Tour de France gewinnt Lance Armstrong mit 3 Tagen Vorsprung. Alle anderen Spitzenfahrer werden wegen der Einnahme bekannter Substanzen disqualifiziert.

August: Bei den Landtagswahlen im Saarland gewinnt die “Linke” mit 48% der Stimmen. Die Regierung stellt eine Koalition aus CDU, SPD, FDP, Grünen und der “Bewegung Deutsch”. Kommissarischer Ministerpräsident wird Roland Koch, der damit zwei Länder gleichzeitig regiert.
Sommer. Zweiter Hormonschub. Ich versuche, mein Testosteron durch Bergetappen und wildes Fluchen in den Griff zu bekommen. Funktioniert!

September: Bei den Parlamentswahlen in Afghanistan holt George Walker Abu Johnny die absolute Mehrheit. Erster Gratulant ist Gerhard Schröder im Auftrag von Vladimir Putin.
Die Feiern zum 60. Jahrestag der Konstituierung des 1. Deutschen Bundestages und des Bundesrates, der Wahl des ersten Bundespräsidenten und der Wahl des ersten Bundeskanzlers werden in Würde begangen. Auf allen Veranstaltungen wird die Neujahrsansprache von Helmut Kohl (1985/1986) von Ein-Euro-Journalisten verlesen.
Der Deutsche Bundestag wird gewählt. Die CDU (35%) und die SPD (21%) verabreden eine Große Koalition.

Oktober: Leseschwache Schüler und Arbeitslose werden zur Ernte in die Weinberge geschickt und erweisen sich als brauchbare Helfer. Alles wird Gut!
Zum 40. Jahrestag der ersten Regierungserklärung Willy Brandts hält die neue SPD-Vorsitzende Andrea Nahles eine Brandrede, in der sie fordert: “Wir wollen auch Demokratie akzeptieren”. Damit setzt sie ein deutliches Zeichen gegen den Koalitionspartner (CDU).

November: Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls wird der Solidaritätsbeitrag auf 20% erhöht. Gegenfinanziert wird diese Maßnahme durch einen Wegfall der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.
Friedrich Merz und Wolfgang Clement treten in die SPD ein.
Hans-Werner Sinn wird Ehrenvorsitzender von CDU, SPD und FDP.

Dezember: Zum 30. Jahrestag des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan besuchen Gerhard Schröder und Vladimir Putin die deutsche Marine. “Verdammt robust, euer Mandat”, rülpst der ebenfalls eingeflogene Marineminister Struck in den Wüstenwind. Es wird ausgelassen gefeiert.
Weihnachten fällt aus, um schädlichen Konsum zu vermeiden. Das Volk erfreut sich an seiner Disziplin und skandiert vor dem Reichstag: “Gürtel enger, Merkel länger!” Als letztes Gesetz des Jahres wird ein Alkoholverbot für Blogger erlassen.

Ich wünsch Euch alles Feyne!

Ich mußte heute für die Einrichtung, in der ich arbeite, Klopapier kaufen. Wir haben dort kein Grundgesetz vorrätig, sonst hätte ich mir den Weg sparen können.
Für die Verfassungsignoranten der Bundesregierung stellt Militärminister Jung im Rahmen der winterlichen Piratenjagd fest:
Wir hatten noch selten ein so robustes Mandat wie hier“. Es gebe ein “klares europäisches Mandat, robuste Einsatzregeln und einen klaren Operationsplan“.
Dann ist ja alles in Butter. Ein Blick ins Grundgesetz scheint ihm nicht weiter notwendig, dort heißt es:

Artikel 87a
(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.

Wo nun der Passus mit der Piratenjagd zum Schutz deutscher Reeder steht, konnte ich bislang nicht feststellen. Feststellen kann ich vielmehr, daß diese Regierung und die ihr unterstellten Parteien keinerlei Rücksicht auf das Grundgesetz nehmen, womit Artikel 20 (4) wiederum als wirksam in Kraft tretend interpretiert werden kann. Das Nähere regelt politisches Valium, mit dem wir von Seiten der Medien reichlich versorgt werden. Die FAZ hat ebensowenig etwas gegen den Stiefeltritt auf die Verfassung einzuwenden wie Tagesschau.de. Dort findet sich stattdessen kuhjournalistisches Hintergrundgeschwätz zum Titel der Aktion “Atalanta”. Die griechische Mythologie böte reichlich Stoff für die aggressiven Vaterlandsverteidiger, leider verpaßt die Journaille die Chance, hier für Klarheit zu sorgen und tut ihren vermeintlichen Job: Vernebeln, ablenken, abnicken.
Ein tiefer Einblick in den Werdegang des Mißbrauchs der Verteidigungsarmee für jeden Zweck, der gerade opportun scheint, findet sich bei Michael Berndt, der Artikel ist aus Dezember 2006. Seitdem nehmen die Angriffe auf das Grundgesetz zu, und das BVerfG kommt mit dem Kassieren von Gesetzen und Beschlüssen kaum mehr nach.
Der unverschämte Begriff vom “robusten Mandat” wird verbreitet, als sei es quasi alternativlos und in allen Punkten geprüft und für unbedenklich befunden, was dort gerade zum Präzendenzfall werden soll. Wenn irgendwer da draußen nach der Bundeswehr schreit, so soll es uns eingetrichtert werden, muß sie marschieren. Die EU, die NATO oder sonstwer müßte also nur eine “gemeinsame Lösung” anstreben, und schon ist das Grundgesetz außer Kraft. Was soll man dazu noch sagen?
Am besten macht man sich ein Bier auf und wartet auf den Generalstreik und die ausufernden Demonstrationen der verfassungstreuen Bürger.
Prost, ne?

Dieser Warnhinweis sollte auf allen Wahlplakaten verbindlich und deutlich lesbar plaziert werden. Es geht mal wieder los, einige Beispiele vom Tage:
Frank Walter Steinmeier, der nie für etwas zuständig war, es sei denn Heldentaten, und der sich im Zweifelfall gar nicht erst fragen läßt, woran er sich noch erinnert, deliriert schon in den Startböcken. Die SPD könne “stärkste Kraft werden“, und zwar in Hessen wie im Bund. Meine Herren, welch eine Leistung im Kampf gegen den Verstand! Daß die SPD in Hessen alle Trümpfe in der Hand hielt und was sie daraus gemacht hat, hat er schon verdrängt. Daß sein Kanzler Schröder wie auf Koks diese Parole ausgegeben hat und welchen kontinuierlichen Niedergang die SPD infolge dessen hingelegt hat, mag er ebensowenig wissen. Seine galoppierende Gedächtnisschwäche garniert er dabei mit ungeahntem Furor: “Flotte Sprüche oder das schönste Lächeln machen noch keine Politik“, will er erkannt haben.
Was aber dann? Dumme Sprüche? Schmerzvolle Selbstverstümmelung? Oder was hat der Kandidat für den Posten des historischen Wahlverlierers sonst noch im Angebot?

Der ehemals rotgrüne Soldat Fritz Kuhn greift noch tiefer in die fettige Klamottenkiste und stellt “eine Million neuer Jobs” in Aussicht. Hartzer, ick hör dir rollen. Mit zwei Millionen davon und der Halbierung der Arbeitslosen hat Peter “Puff Daddy” Hartz für Schröder, Fischer und die Agenda 2010 gewahlkämpft. Was daraus wurde, blüht heute noch jedem, der nicht bei drei auf dem Bau ist. Den Sinn in seinem Blödsinn erklärt Kuhn in souveräner Schizophrenie:
Mir geht es hier aber nicht um wohlfeile Floskeln“, behauptet er und fügt sogleich an:
Ich will, dass wir mit einem knappen, präzisen Programm antreten, bei dem sich die Überschriften aus sich selbst erklären“.
So wie die von den “Millionen Arbeitsplätzen”. Erklärt sich aus sich selbst, ist aber purer Stuß und definitionsreif “wohlfeil”. Der Wahlkampfdialektiker weiß: Das Sprichwort stimmt, denn was Kuhn da auftischt, sind keine Floskeln, sondern die alten Lügen in gnädiger Umhüllung einer grandiosen Vergeßlichkeit.

Franz Müntefering flankiert das Kollegenkabarett, indem er belegt, daß er noch gar nicht so alt ist, wie seine Senilität suggeriert. Er findet Clement genau so doof wie Lafontaine und faselt zu Protokoll:
Die Lafontaines und die anderen sind keine Leute, die eine neue verantwortliche Politik aufbauen wollen, sondern das sind Leute, die den anderen wehtun wollen, aber nicht die Verantwortung übernehmen.”
Ja, das tut weh. Mit solchen Weltbild-Ruinen ist die hiesige politische “Elite” gesegnet, und dieser ungenießbare Brei wird dem Wahlvolk von den Berliner Chefköchen als Filet politischer Analyse serviert.
Die perfide Journaille, die es für opportun hielt, den Agenda-Sozen aus allen Rohren Feuerschutz gegen eine soziale Politik zu geben, macht sie inzwischen genauso lächerlich wie kürzlich noch den bösen rotroten Kurt Beck. Allein, daß ständig über die innerparteiliche Zerrissenheit der SPD berichtet wird, während alle anderen bürgerlichen Parteien dargestellt werden, als seien bei ihnen alle Latten fest im Zaun, ist schon tendenziös. Von den ewigen Kampagnen mal ganz abgesehen.
Was haben denn CSU, FDP und CDU so zu bieten? “Mia san mia”, “Steuern runter, Hirn raus” und Merkels ewiges “Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden”.
Letzteres wäre doch einmal ein paar dutzend Artikel wert: Wer ist “wir”? Was bedeutet “gemeinsam”? Was sind denn das für Lösungen, wessen Probleme werden da gelöst, und wem halst man die Konsequenzen auf? Es ist ja nachvollziehbar, daß niemand die sprechende Puppe “Angie” ernst nimmt, aber von Journalisten durfte man einmal erwarten, daß sie solche Plattitüden nicht unkritisch wiedergeben, sondern sich einmal die Zeit nehmen, zu schauen, was je dahinter steckte. Es täte sich ein politischer Abgrund auf, in dem man locker die Finanzkrise versenken könnte. Es wurde noch für gar nichts eine Lösung gefunden, die Probleme wurden immer größer und “Gemeinsamkeit” ist längst die einer verschworenenen Bande von Versagern, die noch auf den falschen Gaul setzen, nachdem dieser vor aller Augen verreckt ist.

Ganz folgerichtig rudert die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing zurück und will nicht gemeint haben, daß man die Steuern auf alkoholische Getränke erhöhen soll, als sie sagte, diese seien (zu) “leicht verfügbar”. Sie will jetzt “wissenschaftlich untersuchen” lassen, was sie da gemeint haben könnte. Eine Prohibition vielleicht?
Nein, alles nur Spaß. Ein zur Nüchternheit gezwungenes Volk hätte eine Scheißlaune. Erstens, weil es eben gar keinen Spaß mehr hätte und zweitens, weil ihm aufgehen würde, daß und wie es permanent verkaspert wird. Vor der Stampede eines solchen Wahlviehs hätte sogar Vladimir Putin panische Angst.

Durch den Hinweis eines Lesers bin ich auf einen Artikel von Frauke Hunfeld bei Stern.de gestoßen, der mir den Taft aus den Haaren sprengt. Wenn man sich seit Jahren fragen muß, warum deutsche Steuerfahnder so wenig effizient arbeiten und überhaupt nicht mehr von ihnen unterwegs sind, findet man hier eine Antwort darauf. Was in Frankfurt am Main unter der Herrschaft des Sonnenkochs zusammengebraut wurde, um Steuerfahnder kaltzustellen, die die Todsünde begingen, einen guten Job zu machen, spottet jeder Beschreibung. Unfaßbar korrupt, menschenverachtend und mit einer kriminellen Energie, die woanders für sehr lange Haftstrafen reicht, hat hier ein nebliges Konglomerat von Spitzenbeamten gewütet, womöglich mit ministerieller Rückendeckung. Man muß kein Verschwörungstheoretiker sein, um die Frage zu stellen, ob diese Klüngelmafia ein Grund dafür ist, daß eine Regierung Ypsilanti mit allen Mitteln verhindert wurde.
Nein, dies wird nicht der Grund für die Anti-Yps-Kampagne sein, und noch ist nicht ganz Deutschland derart korrupt. Auch werden Steuerhinterzieher und Großkopferte nicht flächendeckend durch solche Machenschaften geschützt. Allein, daß so etwas vorkommt, daß solche Mittel eingesetzt werden und die Hintermänner vermutlich nichts zu befürchten haben, ist aber ein Skandal von einer solchen Tragweite, daß man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Ich bin gespannt, ob diese Affäre eine Rolle im Landtagswahlkampf spielen wird. Vor allem wird es interssant sein zu sehen, wie die SPD damit umgeht. Es ist zu befürchten, daß sie zu “grundehrlich” und staatstragend sein wird, um daraus Profit schlagen zu wollen. Schließlich haben die Sozen ja selbst dafür gesorgt, daß Koch weiter regieren darf.
Im Anschluß an meine Zweifel am Sinn und Zweck der Gegenöffentlichkeit haben wir hier einen guten Testfall. Was glauben eigentlich diese charakterlosen Nützlinge der monetären Obrigkeit, wie schläfrig ihr Volk schon durch den Tag schlurft? Glauben sie, so etwas ließe sich dauerhaft verheimlichen? Meinen sie, alle würden das ganz schnell wieder vergessen? Da bin ich einmal ganz Blogger: Das Internet vergißt nichts, und wir werden es immer wieder nutzen, um die organisierte Amnesie zu stören.

Da es völlig aussichtslos ist, dem journalistischen Formfleisch und der kaltgepresst-öligen Öffentlichen Meinung von Seiten unabhängiger Publizisten etwas entgegenzuhalten, das auch nur annähernd Relevanz gewinnt, ist es an der Zeit, die Tatsachen anzuerkennen. Es gibt keine Gegenöffentlichkeit. Dieses und ähnliche Blogs werden nur von Menschen gelesen, die ohnehin wissen, daß sie täglich belogen werden. Machen wir uns nichts vor: Etwas zu erreichen, auch nur jemanden zu erreichen, der außerhalb eines elitären Dunstkreises sein Dasein fristet, ist pure Illusion. Wozu dann der Aufwand? Man macht sich im Grunde nur lächerlich.

Nein, das ist nicht wirklich mein Ernst, aber ich brauche ein wenig Futter. Stimmt das da oben nicht im Grunde? Wo ist der Sinn, gibt es eine Hoffnung, die ich noch nicht entdeckt habe? Der Satz “Es gibt keine Gegenöffentlichkeit” ist zumindest sehr nahe an der Wahrheit. Ich sehe nicht einmal das Licht am Ende des Tunnels. Zwar habe ich kein Problem damit, mich lächerlich zu machen, aber ich sehe die Lage durchaus recht düster. Ihr nicht? Ja? Nee? Ja? Gebt’s mir, sagt was!

Die FR berichtet von geplanten Maßnahmen zur Rettung der Klimakatastrophe: Impfstoffe, hitzebeständiger Asphalt und höhere Dämme sind die Geniestreiche, mit denen der Klimaveränderung begegnet werden soll. Das schafft Arbeitsplätze, nicht zuletzt in der deutschen Asphaltapostelindustrie. Passend zu den veränderten Beteuerungen der Gipfelkanzlerin, die an Innovationen im Umweltsektor sparen will, um gefräßige Geländewagen zu subventionieren, gilt in der gesamten Umweltpolitik der Koalition das “Augen zu und durch”-Prinzip. Nichts soll sich ändern, wenn sich alles ändert. Die Großkonzerne mit ihrer innovations- und investitionsfeindlichen Mentalität werden blindlings unterstützt, anstatt das zu tun, was bislang als richtig galt, weil es richtig ist: Eine Wirtschaft zu organisieren, die zukunftsfähig ist, weil sie unweltfreundlich ist. Es ist der größte anzunehmende Unsinn, Billionen für einen toten Bahnhof auszugeben, wenn die Gleise längst ganz woanders entlang führen. Die anstehenden Konjunkturpakete könnten ein Segen sein, wenn man sie in sinnvolle Investitionen lenken würde. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist schon heute ein Fluch, der sich in naher Zukunft zum Desaster entwickeln wird.
Wer zu spät kommt, den bestraft nicht nur das Leben, sondern auch der schnöde Geldstrom. Einer der wenigen Märkte der Zukunft, die glückliche Aussicht, wieder Absatz und Umsatz zu machen, besteht in der Energiewende. Gerade ein Exportland wie Deutschland, das sogar schon eine gute Infrastruktur in Sachen “Erneuerbare Energien” hat, muß hier investieren, allein schon aus wirtschaftlichen Gründen. Das an Schwachsinn grenzende Herumschrauben an “Klimazielen” und die Abkehr vom einzig richtigen Weg zur Erneuerung der deutschen Wirtschaft wird wieder einmal der Lobbypolitik geopfert. Es sollen diejenigen weiterhin gutes Geld “verdienen”, die sich schon in der Vergangenheit gegen jede Innovation gewehrt haben und nur deshalb überleben konnten, weil sie ihre Borniertheit auf dem Rücken der Abreitnehmer austragen konnten. Jetzt wird eine Jahrhundertchance verpaßt, endlich etwas für Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen zu leisten.
Was die Große Koalition da veranstaltet, ist im reinsten Sinne reaktionär.

Die kommende Bundestagswahl wird für die SPD in einem Desaster enden. Man muß nicht den aktuellen Umfragen glauben, um dies kommen zu sehen. Im Kern hat die Partei zwei Probleme, die sich nicht loswird und die sich gegenseitig bedingen. Zuerst ist da ihre Zerrissenheit, bedingt durch eine Führung, die nicht mehr sozialdemokratisch denkt. Wir haben das schon oft besprochen: Selbst eine Basis, die erschreckend geschrumpft ist, läßt sich nicht auf Agenda-Kurs zwingen. Sie ist nicht anti-links und sie läßt sich nicht zum Abnicken von Beschlüssen zwingen. Ausgerechnet der Parteiflügel, der die Bundesführung innehat, hält sich nicht einmal selbst an Partei-und Fraktionsbeschlüsse, wenn es dem neoliberalen “Gewissen” nicht paßt. Ein Gewissen gegenüber der Partei haben diese Leute ebensowenig wie eines gegenüber den sozial Schwachen, deren Vertretung “ihre” Partei immer sein wollte.
Der Schulterschluß der Agenda-Fraktion mit den Ideologen des Kapitalismus, der gerade an sich selbst zugrundegeht, ist in jeder Hinsicht fatal für die SPD. Was die Führung ihre “Politik” nennt, kann man bei CDU und FDP besser haben. Die Kumpanei mit den Medien, die Kampagnen, durch die eine Politik durchgesetzt wurde, welche nichts Sozialdemokratisches mehr hat, wird sich bitter rächen. Der letzte große Coup dieser Geisterfahrer, der die Herrschaft von Roland Koch gerettet hat, ist eine Streubombe, die ihre verheerende Wirkung erst noch entfalten wird. Daß die Legende vom “Wortbruch” Ypsilantis so völlig ungehemmt kommuniziert wurde und wird, hat die Rechte in der SPD maßgeblich zu verantworten. Daß Schäfer-Gümbel so erschreckend dumm ist, selbst vom “Wortbruch” zu sprechen, setzt dem Narren die Krone auf.
Der kommende Wahlkampf wird nicht mehr nur dadurch geprägt sein, daß die “Linke” weiter verteufelt und die SPD zu deren Handlangern erkärt werden wird. Die im Zusammenhang ihrer Entstehung verlogene und tendenziöse Vokabel “Wortbruch” wird der SPD noch viel schlimmer zu Schaffen machen: Dort, wo sie mit Recht angebracht werden wird. Die SPD hat in beinahe jedem Detail und allen Wahlkampfaussagen Wortbruch begangen. Die große Koalition, die nicht in Frage kam, regiert. Der Wahlkampfschlager “keine Erhöhung der Mehrwertsteuer” (wie die CDU dies ankündigte) müntete in einer noch drastischeren Erhöhung als je geplant. Die Rente mit 67 wurde beschlossen. Es ist erschütternd zu sehen, wie Müntefering ohne mit der Wimper zu zucken erst seine Wähler belügt [via] und dann ungerührt das Gegenteil verkündet.
Die SPD hat sich ihren Niedergang redlich verdient, für sie wird es keine Gnade geben. Eine der großen Herausforderungen für eine kritische Öffentlichkeit wird es sein, zu verhindern, daß die unsoziale und inkompetente Politik der Großen Koalition nicht allein an der SPD hängen bleiben wird und die Wähler nicht obendrein der schlimmst möglichen “Alternative” in die Arme treibt: Der FDP. Es wird zu zeigen sein, wer aus welchen Motiven und mit welchen Mitteln eine “Politik” betrieben hat, die nichts anderes ist als die Beförderung eines Wirtschaftsmodells, das derzeit als “Krise”, “Rezession” oder “Abgrund” in aller Munde ist. Und das ist nur die Oberfläche. Denn nicht das absehbare Scheitern dieses Wirtschaftsmodells ist der Skandal, sondern die Opfer, die man diesem Fetisch dargebracht hat. Es ist Politik als solche, die regelrecht vernichtet wurde, weil sie dem Heilsversprechen des Neoliberalismus weichen mußte. Diesen Tatbestand gilt es zu belegen, zu erläutern, namhaft zu machen. Wer was dazu beigetragen hat, wer davon profitiert (hat) und wer darunter leidet, muß deutlich gemacht werden. Welche Alternativen unterdrückt wurden und wie sie endlich entfaltet werden können, muß diskutiert werden. Was war, ist (hoffentlich) nicht mehr zu retten. Was kommen soll, ist zu debattieren. Dies ist weder von den politischen “Eliten”, noch von den teils ratlosen, teils korrumpierten Mainstream-Medien zu erwarten.

Ich habe am Wochenende wieder reichlich Meldungen gelesen, wer was zur Wirtschaftslage und Konjunkturpakten zu sagen hatte. Um mich nicht ewig wiederholen, habe ich mir und meinen Lesern einen Lesern einen Kommentar zu diesen teils grotesken Beiträgen erspart. Der neoliberale Irrsinn wird nicht in die Schranken gewiesen, indem man jede Worthülse so behandelt, als sei sie einer Antwort wert. Ich zitiere mich daher lieber selbst, einen Auszug aus dem 2005 geschriebenen Text über das Leben uim Bann der Selbstsorge:

Die Ideologie der reisenden Geldgeber, die Gewinne anstreben und sich aus dem Staub machen, wenn sich etwas Besseres findet, das eben größere Gewinne abwirft, bietet keine Hoffnung für ein soziales Gesellschaftssystem. Unverständlich, wenn die Drohung der ”Globalisierung” dann von denjenigen mit aufgeblasen wird, deren Verhandlungsposition dadurch geschwächt wird. Politiker haben die Aufgabe, in ihrem Bereich das Beste aus den Möglichkeiten zu machen. Stattdessen dreschen sie in dem Glauben, damit der Konkurrenz zuvorzukommen, auf sich selbst ein. Die öffentliche Hand ist ein sehr mächtiger Wirtschaftsfaktor, und sie kann sich im Grunde aussuchen, mit wem sie kooperiert. Gerade die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung wären in der Lage, der Kostensenkungsfalle entgegenzutreten. Wenn sie sich konsequent nach stabilen Wirtschaftsbeziehungen mit freien Anbietern orientiert und auf das Angebot der Region, für die zuständig sind, bauen, können sie an der Basis die Atmosphäre, in der Wirtschaften stattfindet, maßgeblich beeinflussen. ”Investoren” etwa, die an einer verläßlichen Partnerschaft mit langfristig stabilen Gewinnen nicht interessiert sind, weil diese zu gering ausfallen, müssen eben weiterziehen. Sich unter den Druck setzen zu lassen, Gewinne zu ermöglichen, die nur unter Bedingungen möglich sind, die eine Region destabilisieren, ist ein unverzeihlicher Fehler. Man kann viel souveräner auftreten und dabei nur gewinnen. Nicht jeder private Auftraggeber, der mit Millionen winkt, trägt zum Florieren einer Region bei. Es bedarf des Mutes, Geld abzulehnen, das nur kurzfristig hilft und langfristig schadet. Die private Wirtschaft kann nicht auf die öffentlichen Auftraggeber verzichten. Deshalb sollen diese sich nicht durch falsche Kommunikation Bedingungen aufzwingen lassen, die ihre Existenz gefährden! Hinzu kommt, daß sich Politik sonst verbieten ließe, wozu sie da ist: Das Kommunizieren. Sie muß die Ziele der Gemeinschaft formulieren, dann erst kann die Frage gestellt werden, was das kostet. Stellt sich heraus, daß die dringenden Ziele nicht finanzierbar sind, muß man die Bedingungen ändern. Das heißt eben nicht, die Ziele zu vergessen, sondern andere Wege zu suchen! Ökonomisch betrachtet, hat die öffentliche Hand nur so einen Einfluß auf die Kostenentwicklung zu ihren Gunsten. Sie muß als Abnehmer von der Nachfrageseite aus klarstellen, daß es einen Preis gibt, der zu hoch ist. Stattdessen tut sie so, als könne jeder ein wenig an den öffentlichen Haushalten herummelken, wenn es etwas zu verdienen gibt, ohne auf der anderen Seite ein Entgegenkommen zu zeigen, wenn die Kassen leer sind.

“Wortbruch” ist mein Unwort des Jahres, weil die Wörterschmiede der neoliberalen Front in ihrer beispiellosen Kampagne gegen Andrea Ypsilanti den Mißbrauch ihrer Definitionsmacht in unerträgliche Dimensionen gesteigert hat. Daß es im politischen Tagesschäft seit Jahrzehnten Usus ist, sich an sein “Geschwätz von gestern” nicht erinnern zu wollen, ist Grund genug, die Vokabel als dreiste Lüge zu entlarven. In diesen Zeiten gilt als “ernstzunehmend”, wer nach Waschlappenart sich jederzeit so verknautscht, daß er auch dann noch als gut und nützlich durchgeht, wenn er bis zur Unkenntlichkeit herumlaviert.
Ein feines Beispiel dafür gibt Peter Struck ab. Vor einigen Tagen machte er sich für “Kampfeinsätze” gegen “Piraten” stark, ohne jede rechtliche Legitimation. Ich habe dies moniert und ihn zitiert:
Es kann nicht sein, dass wir tatenlos zusehen, wie Schiffe gekapert werden und Lösegeld erpresst wird für Geiseln und auch für die Ladung.
Kurz darauf trumpfte er als großer Kritiker der Reeder auf:
‘Die Reeder machen es sich zu leicht, wenn sie nur auf den Schutz der Marine zählen. Sie müssen auch selbst Abwehrmechanismen auf ihren Schiffen installieren’, sagte Struck dem Tagesspiegel.
Als Beispiel nannte er sogenannte Schallgeschütze, mit deren Hilfe Piraten außer Gefecht gesetzt werden können. Zugleich forderte der SPD-Politiker die Reeder dazu auf, ‘unter deutscher Flagge zu fahren’. Es sei ‘unanständig, den Schutz der Bundesmarine in Anspruch zu nehmen, aber in Deutschland keine Steuern zu zahlen.’

Zwiesprech, Schizophrenie, eine nationalistische Ideologie im Gewand “vernünftiger” Argumente. Wenn dieser Unsinn noch einen Inhalt hat, kann ich ihn nur so übersetzen:
Wir schicken die Marine in Kampfeinsätze, um deutsche Reeder zu schützen. Dafür dürfen gern deutsche Soldaten sterben. Es ist zwar völlig unnötig, weil es andere Mittel zur Bekämpfung von “Piraten” gibt [wie ich in meinem Artikel bereits erwähnte], aber für Steuern zahlende deutsche Reeder betreiben wir dennoch eine expansive Flottenpolitik.
Strucks Worterbrechen, seine zynische Blut-für-Geld Politik wird ihm niemand zur Last legen. Er hat ja nicht wirklich etwas gesagt, und er hat nicht gegen den neoliberalen Konsens verstoßen. Er hat sich lediglich als nationaler Militarist entlarvt.
Wenn er demnächst in den Ruhestand geht, wird man ihn als “großen Sozialdemokraten” feiern.

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