Archiv

November 2007


bahn
Der Streik der GdL und die Reaktion der BahnAG nehmen Züge an, die keiner mehr bestreiken muß, um die Vernunft lahmzulegen. Ich habe mich lange nicht zur GdL geäußert, auch, weil ich es unterstützenswert finde, daß sich eine Gewerkschaft endlich nicht mehr mit Almosen abspeisen läßt. Was sich aber immer deutlicher zeigt, ist das unsolidarische, unprofessionelle und kontraproduktive Gestümper einer Riege planloser Angeber.
GdL-Lautsprecher Schell, von dem ich bis heute nichts als Plattitüden gehört habe, spielt der Bahn vortrefflich in die Karten. Wenn Mehdorn jetzt die Einrichtung einer “Lokführer-Servicegesellschaft” ankündigt, ist damit das Ende der GdL schon beinahe besiegelt. Es muß ein irrsinniges Gefühl sein, mit einer kleinen Gruppe mittlerer Angestellter die Republik auf den Kopf zu stellen. Mit solchen Aktionen kann man einiges bewegen, aber einiges war den Lokführern nicht genug. Sie haben alles falsch gemacht: Keine Absprache mit der Transnet und der GDBA, kein Konzept für Gespräche mit Mehdorn, keine realistischen Forderungen und schließlich die völlige Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses. Hat Schell denn nicht eine Minute darüber nachgedacht, warum andere, echte Gewerkschafter so auf den Flächentarif pochen? Hat er geglaubt, es wäre wirklich eine Alternative, eigene Verträge für einzelne Berufsgruppen mit solchen Mitteln zu erstreiten? Hat er geglaubt, die Lokführer könnten die Bahn AG ganz allein umkrempeln?
Das “naiv” zu nennen, ist die freundliche Variante.
Wenn jetzt die Transnet an der GdL vorbei streikt, können wir passend zur Jahreszeit die Narrenkappen aufsetzen. Jeder gegen jeden, und alle gegen die Kunden.
Das ist vor allem ein Verdienst des kongenialen Bahnchefs Mehdorn, der von Anfang an kein Interesse gezeigt hat, sich mit der GdL zu einigen. Daß auch ein Arbeitgeber nichts davon hat, wenn er die Gewerkschaften entzweit, muß er experimentell lernen. Ein klügerer Mann an seiner Stelle hätte das vorher gewußt und Schlimmeres verhindert. Aber scheinbar ist die Verachtung gegen Arbeitnehmer Bedingung für die Mitgliedschaft im Vorstand. Sollte Mehdorn kein heimlicher Gegner des Börsengangs sein, ist er die denkbar peinlichste Witzfigur, die man in ein solches Rennen schicken kann.
Der einzige Ausgang aus dem selbstverschuldeten Desaster bei der Bahn wäre ein Rücktritt der Protagonisten. Geht nach Hause und überlaßt den Job Leuten, die es können!

Nachdem die Vorzeigedemokratie USA den Verbündeten in Pakistan aufgefordert hat, “dass er die Demokratie wiederherstellt“, hat Musharraf das gleich eingesehen und Wahlen angekündigt. Aus erfahrenen Kreisen heißt es, Jeb Bush habe ihn angerufen und deutlich machen können, daß man durchaus demokratisch regieren kann, ohne eine Wahl zu gewinnen. Sein Bruder George legte überzeugend dar, daß es druchaus demokratsich sein kann, auf die Anwendung von Grundrechten zu verzichten. Zu einer solchen Demokratie konnte sich der General sofort bekennen.

bushmerk
Nein, Angela ist noch immer eine von den Guten. Sie würde einen Freund nie derart brüskieren.
Wir erinnern uns, wie sie anno 2002 den liebenlieben George besuchte und ihren damaligen Regierungschef schlecht machte. Wie sie versicherte, Schröder spreche “nicht für alle Deutschen”. Nein, schon damals war sie mit ihrer Meinung in der Minderheit, genau wie George W. heute. Es wird nicht die Rede von “Folter” sein, von deren Realität Jimmy Carter sagt: “Ich glaube es nicht, ich weiß es“. Es wird darum gehen, wie Deutschland auf Linie zu bringen ist im Säbelrasslewettbewerb gegen den Iran. Vielleicht wird George W. die Kanzlerin ja fragen, ob sie im Fall der Fälle, nur mal angenommen, ein bißchen mitmarschiert, um den Dritten Weltkrieg zu entfach verhindern. Es besteht dann Grund zu der Hoffnung, daß sie von den bösen Sozialdemokraten spricht, die sie erst noch missionieren müsse, sie wird ein bißchen herumlamentieren und wie immer nach Hause fahren, ohne etwas von Substanz gesagt zu haben. Man wird sie dann als Magierin der Diplomatie feiern, die Seifenblase von der vertieften deutsch-amerikanischen Freundschaft steigen lassen, und die folgenden Umfragen werden Merkel bei 110% Zustimmung sehen. Man weiß nicht, von wem und wozu, aber danach fragt ja niemand. All went well.

Es war mir vollkommen entgangen, daß die Kommission, die den Schrottkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel Persilscheine ausgestellt hat, vom Betreiber selbst eingesetzt wurde. Das ist ja originell. Wenn ich also demnächst betrunken mit meinem Auto unterwegs sein werde, das einen klitzekleinen Bremsdefekt hat, werde ich das auch so machen: Auf zu Schrauber Katsche in die Garage, der setzt sich mit seinem Bruder zusammen und schreibt ein Gutachten. Daraus geht hervor, das ich immer besoffen fahre und alles im Griff habe. Und das mit den Bremsen ist alles im Normbereich.
Nein, das ist nicht wirklich witzig. Vattenfall beschränkt sich tatsächlich auf plumpe PR, um so schnell wie möglich wieder Reibach zu machen. In diesem Laden macht sich niemand ernsthaft Gedanken über die Gefährdung von Menschenleben, nicht einmal nach der fast-Kernschmelze von Forsmark. Es sollten nicht einzelne Kraftwerke untersucht werden, sondern die Fähigkeit der Konzernspitze, mit gefährlicher Technologie umzugehen. Danach dürfte dieser Sauhaufen nie wieder ein Kraftwerk betreiben.

Kaum erhöhen sich die Bundestagsabgeordneten ihre Diäten, kommt uns die Sueddeutsche mit der alten Leier: “die Reichen werden immer reicher“. Das haben sie sich doch auch verdient! Wer jetzt eine Neiddebatte lostritt, schadet dem Standort Deutschland. Leistungträger müssen einen Anreiz haben, sich hier zu betätigen. Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft. Was dem Standort nützt, nützt letzten Endes auch dem “Kleinen Mann”. Verteilungsgerechtigkeit schafft keine Arbeitsplätze. lablablablablabla…
Je mehr ich mich mit den Argumenten derer befasse, die Kritik an der Vermögensverteilung als “Neiddebatte” bezeichnen, desto eher erscheint mir “Neid” als eine Tugend.

Ich konnte mich heute für keine Sorte entscheiden, darum in Kürze einige Proben aus der Obstabteilung der Republik:
Bereits am 18.10. berichtete die Sueddeutsche, was heute durch die Funkmedien geht: Glos spielt wieder einmal Wirtschaftsminister und zeigt’s den Energiekonzernen: Er will die “Beweislast umkehren” und die Energiekonzerne dazu zwingen zu beweisen, daß Preiserhöhungen nötig sind. Nachdem er in vorderster Front dafür gesorgt hat, daß die Energieproduzenten die Netze behalten dürfen, macht er jetzt auf starken Mann und sorgt dafür, daß seine Monopole ihre Macht nicht mißbrauchen. Welch grandiose Augenwischerei! Der Wirtschaftmini, der keinen Browser bedienen kann, zeigt einmal mehr Kraft durch Kompetenz. Wer will schon sagen, ob er wirklich so naiv ist oder bewußt eine Maßnahme zur Marktregulierung ankündigt, die nicht funktionieren kann? Wie dem auch sei: Man weiß nicht, was er will, aber man weiß, daß er es nicht kann. Genial!
Unsere Freundin Andrea Nahles, Chefintrigantin der SPD, hat wieder zugeschlagen: Nachdem sie schon Müntefering abgesägt hat, ließen die Ihren den Konkurrenten Sigmar Gabriel über die Klinge springen. Der Mut der Talentlosen trägt sie von Erfolg zu Erfolg. Entweder wird sie so noch Vorsitzende, oder sie schafft es, sogar die Geduld der Sozen über den Rand zu fahren. Wäre sie ein Mann, man würde ihr eins aufs Maul hauen.
“Steuern sind geil”, denkt sich Spar Steinbrück. Kann man nicht genug von erhöhen. Nur Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer lohnen sich nicht. Runter damit! Warum sollte man etwas besteuern, für das keiner arbeitet? Wäre doch gelacht!
Das sagt sich auch Charles Prince (nicht Prince Charles, der ist gegen ihn ein armer Schlucker). Der Chef der Citigroup hat das Bankenimperium mit Verve vor die Wand gefahren und macht sich jetzt vom Acker. Als freier Ackermann, so heißt es, nimmt er eine Ablöse von 100 Millionen Dollar mit. Das lohnt sich, denn jeder Arbeitstag dieses Versagers kostet weitere Milliarden.
Übern Tellerrand wabert weiterhin die Silhouette des Allwiderwärtigen durch die Trümmer seines Größenwahns. Während Pakistan dem Bürgerkrieg nahe ist, ist man sich im Clubhouse “Fans der Hurensöhne”, Washington D.C., uneins über das weitere Vorgehen. Während die einen weiterhin auf Musharraf setzen, suchen die anderen schon den nächsten Demokrator. Wie es heißt, will Musharraf die Atombombe. Oops, hat er schon? Wie konnte das passieren? Nachdem der Militärmachthaber mit der Chuzpe eines Republikaners den “Antiterrorkampf” vorschiebt, um seine häßliche Fratze zu entblößen, erwägen die USA, eventuell die Zahlungen an den befreundeten Diktator einzustellen. Warum nicht? Bis dahin ist die Opposition schon handzahm zurechtdezimiert – wie so oft, mit Hilfe amerikanischen Geldes und deutscher Waffen.

Wenn die Verfassung die Sicherheit nicht mehr garantiert, dann muß man da was machen. Jetscht dem Musharraf unlautere Absichten zu unterstellen, wäre unredlich. Er tut nur das Lebensnotwendige, um die Stabilität der pakistanischen Gesellschaft zu gewährleisten.

Einen ganz wunderbar langatmigen, nichtssagenden und humorfreien Artikel über das deutsche Kabarett mutet Hilmar Klute in der Süddeutschen seinen Lesern zu. Quintessenz: Er kann Kabarett nicht leiden. Gut war es nur, als es noch lebensgefährlich war. “Sozialdemokratisches” Kabarett sei in jeder Variante schlecht und unwitzig. Ich halte mich nicht für jemanden, der über jede herausgequetschte Pointe lacht, im Gegenteil. Aber über mehrere der von Klute für berufsuntauglich befundenen Herren konnte ich schon mühelos lachen, und ich erkannte gar politische Botschaften in ihren Texten. Es mögen diese sein, die dem Herren nicht passen. So beklagt er ja auch die Ära der “Kohlwitze”. Womöglich ist er einer von jenen, die ein rechtes Kabarett vermissen, wofür auch sein Lob für Schmidts Polenwitze spricht. Das wäre dann schlicht reaktionär.
Vollkommen hybrid aber ist eine “Kritik”, die einen ganzen Berufsstand desavouiert. Ich schätze, der Mann ist einfach völlig humorlos und womöglich ein bißchen neidisch. Seine öde Schreibe ist ein deutliches Indiz dafür.

Das Grundgesetzt wird geändert. Der neue Artikel 1 wird lauten:

[Staatssicherheit; Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt]
(1) Die Sicherheit des Staates ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Sicherheitsrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht im Dienste der Sicherheit.

Das Schäuble und seine tapferen Geheimdienstler begegnen dem „Zerfall der Ordnung“. Dazu berichtet die ZEIT [unbedingt lesen!]:
Überhaupt scheint Schäuble die Vorgaben des demokratischen Rechtsstaates für eher hinderlich zu halten. Denn anschließend sagte er etwas, was in dem Saal voller Geheimdienstler zu spontanem Applaus führte: „Wir sollten die Leistungsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes nicht durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse gefährden.“ Schließlich seien die Informationen, die er beschaffe, „lebensnotwendig“. Und sie seien das wichtigste Mittel, um die Stabilität unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Den Nachrichtendiensten „unlautere Absichten zu unterstellen“, sei deshalb geradezu „unredlich“.
Das wichtigste Mittel für die Stabilität der Gesellschaft ist nicht die demokratische Gesinnung, die Teilhabe am politischen Geschehen, soziale Gerechtigkeit, die Freiheit des Einzelnen, die Achtung der Menschenwürde oder die Verankerung der Staatsbelange in der Gesellschaft, sondern es sind die Informationen der Geheimdienste! Allein die Kritik an diesen gilt Schäuble bereits als moralisch verwerflich.
Schäubles Staat ist keine Demokratie und kein Rechtsstaat mehr, er ist ein autoritärer Überwachungsstaat. Der Innenminister ist unzweifelhaft ein Verfassungsfeind. Ihn im Amt zu belassen, ist eine Aufforderung zum Widerstand.

Der gute Herr Kirchhof erklärt der “Welt”, warum die Pendlerpauschale Unsinn sei. Das paßt gut zum Herbstnebel, den auch Sparzwerg Steinbrück in den November hinein pustet. Der erklärt, die Pauschale sei nur dann ab dem ersten Kilometer zu zahlen, wenn das “kostenneutral” gehe. “Kostenneutral” ist Neusprech für “Steuererhöhung”, denn er will auf jeden Fall das mehr einnehmen, was die Kürzung der Pauschale verspricht. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Er umgeht so das Verfassungsgericht und greift doch allen Pendlern in die Tasche.
Allgemein wird so getan, als handele es sich um eine “Subvention”. Das ist wirklich blanker Unsinn, was auch aus dem ersten Entscheid des BVG hervorgeht: Es darf nämlich nur verfügbares Einkommen besteuert werden, und was man ausgibt, um zur Arbeit zu kommen, steht einem nun mal nicht zur Verfügung. Das Argument, es stünden sich ja die Pendler eh besser, weil sie billig auf dem Land wohnen und zur Arbeit in die Stadt führen, ist auch komplett vor die Tür gerannt, denn es kommt ja auch durchaus umgekehrt vor. Ich fahre jeden Tag 80 km, eine Strecke, aus der Großstadt aufs Land. Soll das Gesetz also so kompliziert gestaltet werden, daß Mieten und Vergleichsmieten in die Berechnung einfließen? Und was ist mit der berühmten Flexibilität? Ich soll ggf. jeden Arbeitsplatz akzeptieren, aber zahlen soll ich die Fahrten selbst, und das wird mir obendrein besteuert?
Während jedes noch so aufgesetzte Gejammer der Konzerne mit Steuersenkungen belohnt wird, werden die Arbeitnehmer nach wie vor geschröpft. Dazu trägt auch das ungefragte Statement von Herrn Kirchhoff bei, zumal unter der Headline: “Der Unsinn der Pendlerpauschale“. Seine stimmige Bemerkung am Ende wird leider überlesen werden: “Will der Gesetzgeber die Arbeitnehmer entlasten, sollte er den Pauschbetrag erhöhen“. Selbstverständlich. Eine entsprechende steuerliche Entlastung, die auch Pendler begünstigen würde und obendrein das Gesetz vereinfachen, wäre zu begrüßen. Aber Kirchhof hat wieder einmal nicht aufgepaßt und erreicht einmal mehr das Gegenteil seiner Absicht. Steinbrück will niemanden entlasten, er will seine heimliche Steuererhöhung durchdrücken. In diesem Sinne hört er sehr gern das Wort vom “Unsinn der Pendlerpauschale”.

« Vorherige Seite