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Februar 2007


Die Diskussion um die Rente ab 67, oder wie der große Glos fabuliert, mit 69, zeigt, wie eindimensional die politische Diskussion in Deutschland ist. Wer “Rente” sagt, meint immer noch “Alter”, einen gesicherten Lebensabend, eben “ains is sischä – die Rändä”. Die einen tun so, als gäbe es das noch, damit man sie nicht abwählt, die anderen empören sich und fordern, daß es bald wieder so werde, als könne man die Zeit rückwärts drehen. Es wird sie nicht mehr geben. Es arbeiten zu wenige, die demographische Struktur wirft das nicht ab, und die Regierung Kohl hat den Karren aufgemotzt, um ihn mit einer phantastischen Geschwindigkeit an die Wand zu fahren. Rien ne vas plus.
Wozu also eine Diskussion um “die Rente”? Warum so tun, als erwarte die meisten Erwerbstätigen unter den heutigen Bedingungen etwas anderes als Armut? Warum eine Kuh schlachten wollen, die schon bis auf die Knochen verwest ist? Politiker verwalten, Journalisten schreiben ab – das ist der politische Diskurs im Jahr 2007. Wir haben zigmillionen Betroffene, die nicht mehr arbeiten dürfen, weil sie zu alt dazu sind – und doch zu jung für die Rente. Wir haben Geld satt im System und eine florierende Wirtschaft. Wir haben zigmillionen “ältere” Konsumenten, die noch kaum berücksichtigt werden und von den jugendwahnsinnigen Koksern der PR-Branche schlicht ignoriert. Was kann da wohl helfen? In der Tat kann der Markt hier eine ganze Menge tun. Er muß aber in Bewegung gesetzt werden. Was Not tut, ist ein Ideenwettberwerb um die Zukunft der “Alten”. Eine ganze Infrastruktur kann sich da noch bilden, die auch und gerade von erfahrenen Arbeitnehmern in Gang gehalten wird. Es ist gar nicht unrealistisch, daß Menschen auch über 60 noch “arbeiten”, daß sie noch produktiv tätig sein können. Dazu bedarf es allerdings eines Marktes, der nicht auf Akkord-Effizienz setzt, sondern auf Synergien, die entstehen, wenn man die Welt nicht in Lesitungsroboter und Nichtsnutze unterteilt. Zweiter Arbeitsmarkt? Wohl bedacht, könnte er der erste werden. Zumal, wenn man den Gedanken des Bedingungslosen Grundeinkommens einmal fruchtbar umsetzen würde. Es ist so vieles, das wirtschaftlich sein kann, wenn es sich entfalten darf. Aber da sind sie sich in ihrer Phantasielosigkeit alle einig: Etwas ganz Anderes wollen sie nicht, ob Gewerkschaften, Neoliberale oder Beamtenbund. Sie gehen lieber im Meer ihrer eigenen Lügen unter.

Wer nicht so vollkommen abgestumpft ist wie wir Killerspieler, verliert beim Anblick von Killerspielen sofort den Verstand. Jüngstes Opfer ist die Redaktion von panorama, die in einem Beitrag zum Verbot von Killerspielen auf jeden journalistischen Anspruch verzichtet. Die Auflistung der Peinlichkeiten wie unsaubere Recherche, tendenziöser Schnitt, falsche Behauptungen etc. zieht einem die Schuhe aus. Bislang hielt ich panorama für sehenswert, aber nach der Nummer hat die Redaktion jeden Kredit verspielt. In einer anderen Sendung (leider ist mir entfallen, welche) wurde vor einigen Tagen übrigens “World of Warcraft” in einem Atemzug mit “Counter Strike” als “Killerspiel” bezeichnet. Es offenbart sich derzeit, daß Journalismus weitgehend zur Meinungsschmiede verkommen ist, noch dazu einer, die von Stiefelleckern aller möglichen Möchtegernmachthaber betrieben wird. Eine bessere Empfehlung für Blogs kann es nicht geben, denn da wissen die Leser wenigstens, mit wessen gefärbter Weltsicht sie es zu tun haben.

Zeigt sich schon daurch, daß sogar katholische “Geistliche” Experten in puncto Kinder, Erziehung und Mutterschaft sind. So geistert derzeit ein Wort des Bischofs Mixa durch die Gazetten, das die Kompetenz der vorgeblich asexuellen kleidertragenden Männer einmal mehr unter Beweis stellt. Frauen, die die Gelegenheit haben, ihre Kinder schon vor dem dritten Lebensjahr stundenweise betreuen zu lassen, seien “Gebärmaschinen”. Daran muß die Kirche natürlich Anstoß nehmen, losstürmen und ein herrliches Eigentor schießen. Gebärmaschinen? So what, ist das nicht gottgefällig? Ist es nicht, meint der Mixa, reine Gebärmaschinen sind nämlich untauglich für Küche und Kirche. Das ist zwar ein wunderbarer Blödsinn, aber “Empörung”, von der allenthalben die Rede ist, sollte das doch wohl nicht auslösen. Im Gegenteil ist die Erwähnung der Meinungen jener Freaks, die nicht erst seit Nikolaus von Berufs wegen eine Schnur um den Sack tragen, schon zu viel Aufmerksamkeit. Ich frage ja auch nicht die Schwulenverbände oder den Tierschutzverein, wie viele Kinderkrippen sie für notwendig halten.

Und wie kulturell unterbelichtet, dafür gibt es ein schönes Beispiel in der ZEIT.

Nun ist die Literatur ein hochintelligentes Unternehmen. Seit ihrem Beginn befasst sie sich lieber mit der unglücklichen als mit der geglückten Liebe, weil sich bei der unglücklichen die Beschreibung von Sex plausibler vermeiden lässt.

Ursula März/DIE ZEIT

Einen interessanten Einblick in seine Welt bietet
Wolfgang Schäuble, der “keinen Schlußstrich” unter das Kapitel “Linksterrorismus/RAF” ziehen mag. Daß er schlecht damit leben könnte, wenn die Welt friedlich wäre und ein Krieg wirklich beendet, überrascht nicht. Die Begründungen aber sind lesenswert:
“Zumindest müssen die Täter alles Menschenmögliche zur Aufklärung ihrer damaligen Gräueltaten beitragen”.
Schäuble glaubt also, jemand, der seine Haftsstrafe von über zwanzig Jahren abgesessen hat, müsse öffentlich beichten, und zwar zumindest! In einem Rechtsstaat hat sogar der Verdächtige das Recht zu schweigen, aber bei Schäubles weht ein anderer Wind. Nun mag man einwenden, Schäuble habe das moralisch gemeint und nicht juristisch. Der Mann ist aber nicht Moraltheologe, sondern Innenminister, und es ist nicht nur zu fürchten, daß ihm das nicht so recht klar ist. Auch seine analytisch glasklare Ansicht der RAF-Terroristen läßt tief blicken: Er spricht von “selbstgerechten Bürgersöhnen und Bürgertöchtern, die in der RAF eine erbärmliche Plattform zum Ausleben ihrer menschenfeindlichen Gewaltobsessionen fanden”. So einfach war das damals schon: Wenn man schießwütig war und auch gern mal morden wollte, ging man zur RAF auf die erbärmliche Plattform. Das war wohl so etwas wie eine Fusion aus Al Qaida und Counter Strike, jedenfalls, daran besteht kein Zweifel, war es Das Böse. Und das darf man nie aus den Augen verlieren, denn sonst stößt es das Tor zur Hölle auf.

p.s.: Siehe hierzu auch das law blog.

Damit sichergestellt ist, daß ein Hartz-4-Empfänger aus Braunlage wirklich dauerhaft arbeitsunfähig ist, hat die ARGE Braunlage mit seinem Einverständnis entschieden, daß ihm ein Fuß amputiert wird. Der Mann war lange wegen eines Rückenleidens krankgeschrieben, und es war nicht festzustellen, ob er noch einmal arbeitsfähig würde.
Diese Meldung könnte auch niemanden mehr überraschen, der sich mit der Materie befaßt und weiß, welch unfaßbarer Schwachsinn im Sozialsektor Realität ist [Eine Frau darf ein Zimmer ihrer Wohnung nicht mehr betreten, weil die Miete dafür nicht vom ALG II gedeckt ist - die Wohnung wäre zu groß.]

Nach einem Bericht der „New York Times“ formiert sich die Terrororganisation [Al Qaida] ]im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet neu. Das Blatt beruft sich auf Mitglieder der Bush-Regierung. [via RP]
Nach einer Meldung von Feynsinn formiert sich der Terror täglich überall. Schläfer können sich jahrzehntelang auf Anschläge vobereiten. Das Blog beruft sich auf den Schäuble.
Und jetzt? Alle Autobahnen sperren? Straßenzug für Straßenzug die Häuser durchkämmen? Ja sicher! Und dann? Weiter zittern, sie sind immer noch da! Und da! Und da!

Da wird einfach mal eine Autobahn für sechs Stunden gesperrt, weil die Polizei Verkehrsteilnehmer kontrollieren möchte. Leider teilen weder die Sueddeutsche noch SPIEGEL Online mit, wie diese Maßnahme begründet wurde, wer so etwas unter welchen Voraussetzungen anordnen darf, noch, was sie davon halten.
Wo leben wir? Soll das eine Übung sein? Steht ein Krieg an, soll getestet werden, was der Bundesbürger sich alles gefallen läßt, ehe er ganz ohne Killerspiele Amok läuft? Worauf darf man sich dann demnächst einstellen? Massenhaussuchungen wegen des Generalverdachts auf Schwarzbrennerei? Beschlagnahme privater PCs, weil die Möglichkeit der Anstiftung zur Beihilfe bei der Vorbereitung zur Steuerhinterziehung besteht? Erzwungene Gentests wegen Verdachts auf die Gründung einer Terrorzelle (Hartz-4-Familie) ?
Nein, es ist ja das gute Recht der Polizei, allgemeine Verkehrskontrollen durchzuführen. Und wie der Freilandversuch an der A7 gezeigt hat, finden sich sogar Verbrecher, wenn man nur lange genug sucht. Das allerdings kann man billiger haben: Ich empfehle regelmäßige Einkesselung von Passanten in Fußgängerzonen. Jede Wette, daß das sogar noch erfolgreicher ist!

Christoph Seils wirft in der ZEIT die mutige Frage auf, ob es richtig sei, Das Leugnen des Holocaust unter Strafe zu stellen. Er bewertet die Meinungsfreiheit höher als die Gefahr, die von ein paar “irren” Neonazis ausgeht und meint, daß auch das unerträgliche Geschwafel der Braunen straffrei bleiben solle. Auf der ethischen Ebene stellt sich hier die Frage, ob es richtig ist, wenn der deutsche (!) Rechtsstaat darauf verzichten soll, ein Tabu zu bewahren, gegen das zu verstoßen nur Menschen einfällt, die fest entschlossen sind, den Boden der Zivilisation zu verlassen. Vor allem stellt sich die Frage, ob das Strafrecht die richtige Weise des Umgangs damit ist. Bis hierhin würde ich Chrsitoph Seils zustimmen, mehr noch: Ausgerechnet § 130 StGB, der vormals als “Anreizung zum Klassenkampf” und im Appendix, dem 130 a, als Keule gegen jede oppositionelle politische Äußerung und Bewegung dienen kann, ist ein denkbar ungeeignetes Mittel, auf überzeugende Weise den Rechtsstaat zu schützen. Dem Gedenken der Opfer nützt das sicher nicht.
Eine Einschränkung stellt allerdings der genaue Wortlaut des Volksverhetzungsparagraphen dar, der nicht das reine Leugnen unter Strafe stellt, sondern das Leugnen in in einer Weise, “die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung“. Sensibel angewandt, könnte diese Rechtsvorschrift also dafür sorgen, daß jemand, der erfolgreich braunen Mob rekrutiert und aufhetzt, dafür bestraft wird, und daß ein Indikator für solche Hetze das Leugnen der NS-Verbrechen ist. Es entspricht nicht der Wirklichkeit, darüber zu diskutieren, ob das Leugnen des Holocaust durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist bzw. ob letztere ein zu hohes Gut ist, um derart eingeschränkt werden zu dürfen. Diese Diskussion könnte man um den § 130, insbesondere um den 130 a, durchaus führen. Aber es wird nach dem Wort des Gesetzes niemand dafür bestraft, daß er wirres Zeug redet. Nicht einmal, wenn er braunes Zeug redet.
Daß ein Nazi wie Zündel, der die Hetze zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, durch eine Verurteilung nach § 130 StGB zum “Märtyrer” wird, halte ich ebenfalls für eine unzutreffende Behauptung. Solche tumben Schreihälse sind immer die Helden der Bewegung, egal, ob sie ihren Mist vor einem Gericht oder sonstwo auskippen. Daß ein Rechtsstaat schließlich eine Grenze zieht, deren Überschreitung er sich nicht bieten läßt, weil sie eben nicht nur gegen jeden Rest von Anstand verstößt, sondern auch genau in der Weise den Pöbel aufhetzt wie es dereinst die echten Braunen taten, ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Nachtrag: Daß das Urteil gegen Zündel auch ohne den Passus betreffs “Leugnen” auskäme, sieht die Sueddeutsche(Heribert Prantl) ebenso.

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