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November 2006


Wenn man keine Zeit hat, muß man sie halt zitieren. Das soll heute einmal reichen, und ich gebe mir nicht einmal die Mühe, rhetorisch elegant zu paraphrasieren oder sonstwie zu belegen, daß ich einen schlauen Artikel verstanden habe. Vielleicht so viel: Angewidert und amüsiert zugleich las ich im “Herdentrieb” den Verriß von Gabor Steingarts “Weltkrieg um Wohlstand”. Schon im September ließ Steingart in SPIEGEL Online die Panzer rollen und warnte vor der asiatischen Gefahr, die nichts von Werten hält, den Westen plündert, alles unterwandert, was uns heilig ist und uns schließlich ins Elend stürzen wird. Dieter Wermuth zerpflückt diesen wirtschaftstheoretischen Offenbarungseid, und man darf ihm danken, daß er derart vielen die Lektüre erspart. Es ist kaum zu glauben, daß die Zitate, die er in seinem Artikel verfrühstückt, wirklich aus einem ernst gemeinten Buch stammen. Noch weniger kann man begreifen, daß so etwas anderswo angepriesen wird.

Nein, wir wollen niemanden unnötig alarmieren, sondern nur darauf aufmerksam machen, daß im Rahmen unserer Recherche festgestellt wurde, daß Terroristen auch davor nicht zurückschrecken würden. So viel Transparenz muß sein!
So in etwa argumentiert die Bundesanwaltschaft, nachdem sie zugeben mußte, daß die Aufdeckung angeblicher Anschlagspläne auf ein Verkehrsflugzeug eine Ente war. Daß derartiges wie ein Erdbeben durch die Nachrichten rollt, liegt doch nicht in der Verantwortung der Bundesanwaltschaft! Das Dementi wird dann prompt auch deutlich leiser kommuniziert, und Frau Harms hat den Alarm ja bereits in Politik umgemünzt. Bei jeder Gelegenheit wird der Denunziant im Bürger auf seine Wachsamkeit angepingt, aber daß man tatsächlich einfach ruhig schlafen könnte, ist keine Meldung wert. Nach diesem Fauxpas zu erklären “Von Alarmismus” könne “keine Rede sein”, ist ein deutliches Zeichen für Realitätsverlust und völlige Inkompetenz. So etwas kann man sich vielleicht als Politiker leisten, die dauerpanische Generalbundesanwältin aber sollte dafür umgehend in den Ruhestand geschickt werden.

Keine 2 Wochen nach dem Vorschlag von Feynsinn springt jetzt auch die Los Angeles Times auf den Zug auf (berichtet auch SPIEGEL Online): Sie wollen Saddam wiederhaben! Alles war besser, als er noch herrschte. Mehr Ordnung im Land, die Welt sicherer und die Lage für die U.S.A. vor allem wesentlich billiger. Saddam ist gefürchtet im Irak, und zwar bei Schiiten und Sunniten gleichermaßen. Keine schlechte Voraussetzung, wenn es darum geht, sich um den Posten des starken Mannes zu bewerben. Gut, er ist ein wenig vorbelastet, aber mangels Konkurrenz derzeit wohl der aussichtsreichste Kandidat. Mal sehen, vielleicht gibt es ja noch einen, am besten mit Migrationshintergrund, vor allem aber dem festen Willen zur Alleinherrschaft sowie guten Kontakten zu Milizen, Banden un der ehemaligen Armee. Nicht schlecht wären außerdem ein Hang zur Korruption, internationale Verbindungen zu Geldwäschern und Ölbaronen sowie brauchbares Englisch in Wort und Schrift. Geboten wird ihm Öl ohne Ende, ein Volk, das Kummer gewohnt ist und bei entsprechendem Erfolg ein Status nicht unähnlich dem des Messias. Da müßte sich doch wer finden!

Immer öfter kommt die Frage auf, ob der SPIEGEL wirklich etwas gewinnt, wenn er politische und kulturelle Zusammenhänge genau so tumb vereinfacht wie die Konkurrenz. Überschriften wie “Der politische Islam knüpft an die Nazis an” zielen auf Reflexe. Und es ist die unterste Schublade der Journaille, falsch zu zitieren, um eine ohnehin streitbare Aussage zur Hetze zu verzerren. Er hat es so nicht gesagt, und er hat es so nicht gemeint. Obendrein “arbeitet” die Headline mit einer schmerzenden Diskrepanz im Differenzierungsniveau. Während das angebliche Anknüpfen an die Nazis grob zusammengeschustert wurde von jemandem, der seinen Gesprächspartner nicht verstanden hat, wird mit dem Begriff “politischer Islam” eine Vokabel eingeführt, die auf sensibler Differenzierung beruht. Etwas unter einem solchen Titel als “Interview” zu verkaufen, ist eine Frechheit.
Aber das ist offenbar heute Standard bei SpiegelOnline. Ein herzlich blödsinniger Rekurs auf die Regensburger Rede des Papstes wird dem Leser ebenfalls als “Interview” untergejubelt. Die sich mit Fanfaren aufdrängende Nachfrage, ob der interviewte Herr den Unterschied zwischen einer Aussage und einem Zitat kennt, der Hinweis darauf, daß das Vorlesen aus einem Buch hier nicht als Meinungsäußerung gilt, fehlt gänzlich. Wer derartiges für eine angemessene Präsentation der Auseinandersetzung mit dem Islam hält, sollte sich Gedanken übers Layout machen. Ich rate zu größeren Buchstaben.

Nach dem jüngsten Amoklauf eines Schülers rattert wieder die Gebetsmühle, und das Rennen der Inkompetenten geht in die nächste Runde. “Killerspiele” sind schuld und gehören verboten. Stoiber fordert das natürlich wieder an vorderster Front und läßt an Deutlichkeit nichts missen, wenn es darum geht, seine Ahnungslosigkeit zu belegen. Nicht nur, daß er nichts beizutragen hat zu der Frage, ob zwischen Spielen und Töten ein signifikanter Zusammenhang besteht, er lebt auch nach wie vor in einer Welt, in der Deutschland, Bayern oder sonstwer Software einfach verbieten kann. Als ob jemand, der sich eine Waffe besorgen kann, nicht auch den Schrank voller illegaler Software hätte, wenn er es wollte.
Erschütternd auch der Beitrag der Süddeutschen zur Debatte. Schon die Behauptung, Spielehersteller legten Wert auf den “den Thrill des authentischen Tötens” ist unsinnig und widerspricht dem Vorwurf der Horror-Ästhetik. Wenn man den Unterschied zwischen den Monstern aus “Doom 3″ und einem Schüler nicht mehr erkennt, ist man wahrscheinlich Journalist. Amokläufer brauchen dazu andere Ressourcen als nur ein “Killerspiel”. Gerade die von der SZ benannten “entmenschlichten Bilder” markieren die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Genial auch das Argument, “dass Computerspiele auch nur zeigen, was das Fernsehen zeigt. Stimmt, doch gerade darum kann man sich den Zustrom an überflüssigen Computer-Bildern sparen“. Kann man, tut man aber nicht. Und jetzt?
Die Debatte, immerhin das erkennt Bernd Graff, ist nicht neu und entbrannte bereits an anderen Medien wie Comics und Videos. Wenn man also etwas erreichen will, muß man anders ansetzen. Wie die Droge nicht für die Sucht verantwortlich ist, sind auch die Medien nicht verantwortlich für die psyschischen Zustände der Konsumenten, seien es die als “normal” empfundenen oder die extremen. Hier sind Symptom und Ursache klar unterscheidbar. Moralisch mag man formulieren können, daß wer so etwas herstellt, die Welt nicht besser macht, und man hätte sogar recht. Moral ändert aber herzlich wenig an einer ökonomisch orientierten Gesellschaftsorganisation. Nicht nur, daß es einen florierenden Markt für solche Spiele gibt, den man nicht durch Moralvorstellungen ändert, es gibt vor allem ein Bedürfnis nach solchen Produkten. In der Tat: Es geht um Leben und Tod, Leben zum Tod, Töten und Überleben. Eine soziale Realität, die dem Lauf der Dinge folgt, deren Gesetze sich aus der Produktion von Gegenständen herleiten und die überdies den realen Tod wie schon die Geburt in sterile Krankenhäuser abdrängt, erzeugt das Bedürfnis nach simuliertem Tod – wie übrigens auch simuliertem Leben, was den Erfolg von Spielen wie “Sims” ausmacht. Adorno nannte das Phänomen die “Mimesis ans Tote”, und eine Mimesis ans Restleben ersetzt zusehends die sozialen Beziehungen. Wer das nicht will, will keine Industriegesellschaft. Darüber sollte man vielleicht unaufgeregt debattieren. “Killerspiele” zu verbieten hat hingegen ähnliche Erfolgsaussichten wie ein im Grundgesetz verankertes Verbot von Amokläufen.

Wenn es zu langweilig wird in der Welt oder ein Bombenanschlag nicht blutig genug war, kommt beim ZDF Elmar Thevessen ins Studio und gruselt sein Publikum. Was uns nicht mitgeteilt wird: Der stets als “Terrorexperte” annoncierte Schauergeschichtenerzähler ist Chef vom Dienst der ZDF-Hauptredaktion „Aktuelles“. Was ihn qualifiziert, ist außer einem ungewöhnlichen Mitteilungsbedürfnis also seine Hausmacht. Sonst würde man ihn auch wohl nicht mehr vor die Kamera stellen – zu oft beschreit er das Grauen, das partout nicht stattfinden will und bläst das vielleicht möglicherweise beinahe unter Umständen Schreckliche vor uns auf, das dann doch nicht geschieht. Er macht sich damit zum Megaphon für all die Spinner, die täglich “das Tor zur Hölle aufstoßen”. Vielleicht hat das aber auch sein Gutes, und relevante Islamisten verzichten auf Anschläge, weil Deutschland dank Thevessen & Co. ohnehin schon vor ihnen zittert – dafür muß sich niemand mehr in die Luft sprengen.

Nichts wirklich Neues ergeben neuere Untersuchungen zum deutschen Schulunterricht, aber sie bestätigen, inzwischen nachhaltig, daß eine Kultur verknöcherten Paukens Lernerfolge verhindert. Ein Typus Lehrer bestimmt nach wie vor das Bild, der das Recht gepachtet hat, selbst nichts lernen muß und auch dann noch auftrumpft, wenn er nachgewiesenermaßen keine Ahnung hat. Dann “ist das halt so”, qua Amt, kraft ihrer gottgleichen Macht, weil der da vorn eben das Sagen hat und die anderen das Nachsehen. Dieser wichtige Baustein des hiesigen Bildungsdesasters, die Arroganz gerade der unfähigsten Lehrer, birgt das Potenzial für echte Katastrophen. Daß man von ihnen schlecht bis gar nicht lernt, ist oft nur der Kollateralschaden. Der Autoritätsverlust, der mit diesem Gebaren einhergeht, koppelt zuerst diejenigen ab, die man am dringendsten erreichen müßte. Weil sie sich sonst aufgeben oder “zurückschlagen”. Diesen Zusammenhang stellen die betreffenden Klassenkämpfer allerdings zuallerletzt her.

Was der Spiegel über die Bürokratie in den BAFöG-Ämtern schreibt, ist nur die Spitze des Eisbergs und transportiert nicht ganz die Wirklichkeit, die sich dahinter verbirgt. Daß die Ämter gern monatelang nicht zahlen, bedeutet nämlich für die Antragsteller, daß sie völlig mittellos sind. So kommt es vor, daß sich aus Gründen, die nicht von den Studierenden zu vertreten sind, die Sache erheblich verzögert, etwa, wenn ein Elternteil nicht auffindbar ist. In einem mir bekannten Fall wurde der Antragstellerin 3 Monate nach Antragstellung mitgeteilt, die Bearbeitung könne sich weitere Monate hinziehen. Einen Vorschuß oder ähnliches könne man ihr auch nicht zahlen. Die junge Frau, die keine zahlungsfähigen Angehörigen hat, hat monatlich also Null Cent zur Verfügung. Das Sozialamt erklärt sich für nicht zuständig und teilte ihr mit, sie müsse sich exmatrikulieren, wenn sie Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten wolle. Das würde bedeuten, daß 1600 Euro Studiengebühren verloren wären. Aber immerhin gibt’s dann was zu essen.
In einem Land, in dem täglich über faule Schmarotzer geschimpft wird, in dem Millionen zu sinnlosen Bewerbungstrainings geschickt werden, werden Menschen gezwungen, ihre Ausbildung abzubrechen, oder man läßt sie sprichwörtlich verhungern. Dieser feinsinnige Umgang mit Menschen, die an ihrer beruflichen Laufbahn arbeiten wollen, steht uns gut zu Gesicht. Er steht repräsentativ für die Qualität des deutschen Bildungssystems und der dahinter stehenden Bürokratenmentalität. Er steht ebenso repräsentativ für die unmenschliche und blinde Organisation des hiesigen Sozialsystems.

Das paßt nicht ins Bild der Schäubles und anderer Innen-und Justizsheriffs: Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt, laut aktueller Kriminalitätsstatsitik. Die GdP poltert auch sogleich dagegen: Die Politiker hätten ja keine Ahnung wie es aussieht da draußen, in den Straßen von Berlin. Die GdP will mehr Personal, mehr Geld, mehr Mittel. Deshalb muß sie immer so tun, als sei überall der Wilde Westen. Im Endeffekt stellt sie ihren eigenen Beamten damit ein schlechtes Zeugnis aus, das diese offenbar nicht verdient haben. Bewiesen hat ihr Vorsitzender jedenfalls, daß er nicht weiß, was eine Statistik ist. Er kennt sich besser aus mit “Wahrnehmung” und “Wohlgefühl”. Eins zu Null für “die Politiker”, die hier den vergleichsweise höheren Sachverstand auf ihrer Seite haben. So sieht es auch die Sueddeutsche,die ebenfalls zu dem Schluß kommt: Den Leuten wird erfolgreich Angst gemacht, es fehlt jedoch jede reale Grundlage dazu. Was will also der Vorsitzende der GdP noch? Daueralarm? Milizen? Panik von früh bis spät? Das würde die Welt zwar ganz bestimmt nicht sicherer machen, aber er bekäme dann ein paar neue Glänzestiefel.

Die täglichen Nachrichten vom Terror im Irak erscheinen bisweilen wie publizistische Watte, die verhüllt, mit welchen Behauptungen und Versprechen die Marines 2002 losgeschickt wurden. Freiheit, Wohlstand, Völkerfreundschaft, Kampf dem Terrorismus, Hurra, und Osama eins auswischen. Nun gut, wer lesen kann, wußte schon damals, daß das von der falschen Seite an Schwachsinn grenzte, aber selbst wir haben uns nicht vorstellen können, was aus diesem Abenteuer werden würde. Hatten wir dem Amis doch wenigstens zugetraut, eine halbwegs funktionierende Besatzung auf die Kette zu kriegen und fröhlich Öl zu plündern.
Nichts haben sie geschafft. Jedes Plansoll eines Ultrapessimisten wurde übererfüllt. Neue Dimensionen gegenseitigen Abschlachtens, ein Morden, das nur deshalb nicht “Bürgerkrieg” heißt, weil es viel perfider ist und eine Hoffnungslosigkeit, die Züge großer Tragik trüge, würde sie nicht von dem infantilen Hurragelaber einer US-Regierung täglich zur Groteske verzerrt.
Die großartige Befreiung des Iraks sollte der Anfang der Befreiung der ganzen Region werden. Das immerhin scheint zu gelingen. Frei von Ordnung und Menschenwürde fühlt sich jeder bemüßigt, Gott zu spielen und nicht an morgen zu denken.
Das einzige Ziel, das ironischerweise so erreicht wurde, wie es geplant war, trägt am Ende zum Elend noch bei. Der letzte Garant der Ordnung wurde gefangen und verurteilt. Ob seine Häscher das inzwischen schon bedauern? Wundern kann einen gar nichts mehr, und vielleicht lassen sie Saddam ja wirklich wieder raus, damit er aufräumt.

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