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September 2006


Nachdem schon die Siemens-Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze durch Lohnverzicht gesichert hatten, übernehmen jetzt die Arbeitnehmer von VW diese erfolgreiche Strategie. Es wird mehr gearbeitet, evtl. auch viel mehr, und dafür werden die Gehälter nicht erhöht. Daß Unternehmen und Managements gern Löhne drücken, ist nichts Neues. Daß sich Arbeitnehmervertreter immer wieder auf solche Deals einlassen, verstehe, wer will. Makroökonomisch ist Lohnverzicht schon lange ein Gift, das die heimische Wirtschaft belastet. Aber auch betriebswirtschaftlich sind solche Patentideen reine Augenwischerei. Ein Betrieb kann nicht überleben, wenn sich die Produkte nicht verkaufen. Er taugt nichts, wenn sich keine angemessene Entlohnung erwirtschaften läßt. Wer glaubt, er rette irgendetwas, indem er die Produktionskosten künstlich verringert, hat etwas fundamental mißverstanden.
Für die Arbeitgeber gilt dasselbe. Wenn ein Betrieb unrentabel ist, weil die Produkte unrentabel sind, muß nicht an den Gehältern der Mitarbeiter herumgepfuscht werden, sondern der Laden gehört umstrukturiert. Letzteres kann auch bedeuten, daß er dichtgemacht werden muß. Ein gutes Management leitet solche Prozesse rechtzeitig ein und wartet nicht darauf, daß nichts mehr geht.
Alles andere sind Methoden, mit denen die Mitarbeiterschaft ausgeplündert werden soll. Siemens-BenQ hat gezeigt, wie so etwas aussieht.
Für gute Produkte kann man gute Löhne zahlen. Für schlechte Produkte ist der Standort Deutschland gänzlich ungeeignet.

So darf man nun auch nach dem Sanierungsplan fragen, den Siemens und BenQ ausgeheckt hatten, angeblich um die Produktion von Mobiltelefonen in Deutschland zukunftssicher zu machen. Ja sicher, die Zukunft ist heute, und morgen wird es eben keine mehr geben.
Na und? Die Entscheidung war richtig, Siemens macht weniger Verlust. Allein deshalb schon ist die Erhöhung der Managergehälter um 30% berechtigt. Daß dieselben Schnarchnasen, die so elegant den Konkurs an die Konkurrenz weitergereicht haben, die Katastrophe selbst vor Jahren verursacht haben – who cares? Daß jeder, der auch nur ein bißchen von “Handys” versteht, schon lange wußte, was der Unterschied zwischen einem Nokia und einem Siemens ist, muß ja das Management nicht stören, denn dort hat man wichtigeres zu tun, als die eigenen Produkte in die Hand zu nehmen.
Und daß die Neider und Habenichtse aufschreien, weil sie nicht gönnen können und nicht wissen, wie unterbezahlt die Herren jahrelang waren? Auch davon fängt das Geld nicht an zu stinken.
Allerdings sollte sich der sozialneidische Normalbürger endlich hinter die Löffel schreiben, daß Wirtschaft mit vielem zu tun hat, aber ganz sicher nichts mit Gerechtigkeit.

Darf man noch etwas tun, ohne Rücksicht auf sie zu nehmen? Muß man demnächst in prophylaktischem Gehorsam vor den Terroristen jeden Geschlechtsverkehr anmelden, weil sich daraus unmittelbare Konsequenzen für die beruflichen Pflichten erwachsen?
Was die Arbeitsagenturen sich inzwischen einfallen lassen, um ihr Klientel oder das, was sie dafür halten, zu schikanieren, ist unfaßbar. Oder geht es nur darum, scheinheilig Gründe aus allen Ecken zusammenzukratzen, um Das ALG nicht überweisen zu müssen? Während die Zeitungen voll sind von Angstartikeln über Muslime und die halbe Welt ausrastet, weil in Pakistan ein Paar analphabetische Pfeifenraucher auf die Straße spucken, läuft hier eine Behörde täglich Amok und produziert tausende Opfer. Wann reicht es eigentlich?
Ceterum censeo: Schafft endlich die Arbeitsagentur ab!

Da ich bis Mittwoch Abend unterwegs sein werde und nicht zu einem ordentlichen Eintrag komme, feiere ich bei dieser Gelegenheit die damals spontane Idee, mir ein Weblog zuzulegen. Das war vor genau einem Jahr, in dem dann 287 Einträge zustande kamen. Ein guter Grund, sich an den Straßenrand zu stellen und sich zuzujubeln. *Konfettiiiiii*

“Intelligenten” und “innnovativen” Journalismus bescheinigen sich Financial Times Deutschland und der Verlag Gruner+Jahr selbst. Es geht aber nicht etwa um investigativen oder visionären Wirtschaftsjournalismus, sondern um Strategien zur Lösung eines der wichtigsten Probleme der Menschheit: Wie die Leute, die vor Geld nicht mehr laufen können, ihre Kohle loswerden sollen. “How to spend it” heißt das “Luxus-Magazin” der FTD, und es biedert sich den Geldsäcken an, daß man ohne Anlauf mitgleiten kann. Betont wird in der Eigenwerbung vor allem, daß HTSI mit (großformatigen) “Hochglanzseiten” aufwartet. Innovativ! Wie haarsträubend intelligent der Journalismus ist, erkennt man schon an den knallhart recherchierten Hintergrundinformationen über die Leserschaft, die “Top-Verdiener Deutschlands“: “Sie agieren international, haben einen erlesenen Geschmack und aufwendige Freizeitinteressen.” Aha. Sicher klettern sie, um ein Buch zu lesen, kopfüber die Wand hoch, treiben es nur in rotierenden Wasserbetten und gehen jeden Morgen mit einem Rudel Hyänen spazieren. Aufwendig! Ihr Geschmack ist ganz selbstverständlich “erlesen”, denn Geld kann Kultur kaufen, und wer viel davon hat, hat viel davon – Noblesse oblige!
Schwamm drüber – daß niemand so etwas braucht, daß es schon Jahre früher eine englische Ausgabe gab, daß das gedruckte Gesülze innovativ ist wie der Neoliberalismus und intelligent wie Paris Hilton. Denn es ist herrlich obszön. Am besten gefällt mir das Titelbild mit dem Kopf von der Schwarzafrikanerin und den Wahnsinnsbrillis. Diese wunderbare Allegorie der Vergänglichkeit! Während der Schmuck für die Ewigkeit geschaffen wurde, ist die Dame womöglich schön während des Shootings verhungert.

Ich kann die Aufregung gar nicht verstehen. Eine Geschichte, wie sie jeden Tag tausendfach vorkommt: Ein abmahn- und klagewütiger Anwalt, ein Konzern, den er vertritt, seine Opfer und kein ersichtlicher Sinn? Kennen wir doch! Akademische Fragen wie die, ob man jemanden, der sich als “Arschloch” bezeichnet, als “Arschloch” bezeichnen darf, ob man Medienkonzerne, die die Kunden der Konkurrenz beleidigen, beleidigen darf etc. sollte man doch den Fachleuten überlassen. Wie ich Anwälte kenne, bellen die gern und ziehen schnell den Schwanz ein, wenn man sich einen zulegt, der beißen kann. Nicht immer, okay, dann braucht man eben etwas mehr Unterstützung. Derweil werden wir uns weiterhin als “blöd” beschimpfen lassen, weil wir nicht bei Anwalt Arschloch sein Konzern einkaufen, sondern zum Beispiel in Krefeld bei
CE-Computer (Hardware und Service nebst Internetcafé)
Pro Foto
Oder in der Rille (Rheinstr. 70) DER Laden für Tonträger!
Gute Läden gibt es übrigens auch anderswo. Und die haben mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient wie dieser – verdammt, wie hieß der noch…?

Eine sehr unterschätzte Auszeichnung wurde jüngst verliehen: Der World Stupidity Award (Weltdummheitspreis). Die Juroren sind offenbar echte Philosophen, sie treffen so manche weise Entscheidung und wissen sie wohl zu begründen. Auch in diesem Jahr wurde wieder jemand ausgezeichnet, dessen Schicksal auch Feynsinn sehr am Herzen liegt: George W. Bush. Er wurde ausgezeichnet mit dem “Disinformation Stupidity Award for being most out of Touch with Reality”. Das ist extrem feynsinnig formuliert und entzieht sich deshalb auch einer halbwegs treffenden Übersetzung. Es handelt sich um den Preis für Desinformation und Realitätsverlust. Wir gratulieren der Jury und dem Kandidaten!

Als hätten sie nicht selbst Kandidaten des äußeren Mittelmaßes, lassen die Redakteure von Spiegel-online Herrn Schirrmacher die Welt der NPD-Wähler erklären. Zwar ist sein Hinweis auf die demographische Struktur vieler Landstriche im Osten richtig, aber er kann es natürlich nicht bei dem klugen Argument belassen. Vielmehr verbreitet er reaktionären Pessimismus, indem er weismacht, man könne nichts dagegen tun (“nicht heilen”) und das Phänomen habe nichts
wie gerade die Kulturkritiker immer noch gerne glauben, mit Arbeitslosenquoten und Weltbildern zu tun.” Nein, natürlich nicht. Wenn Neger geklatscht werden, hat das nichts mit Rassismus zu tun. Wenn Menschen abwandern, hat das nichts mit Arbeitslosenquoten zu tun. Und die Verkümmerung des Ostens hat nichts mit einer wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Die blühenden Landschaften blühen nur deshalb nicht, weil die Frauen einfach so in den Westen gegangen sind. Und weil der Reaktionär kein (anderes) “Morgen” kennt, muß er dem Untergang tatenlos zusehen. Dieselben Leute, die die Kohlschen Fehlentscheidungen stets bejubelt haben, tun jetzt so, als wäre die fatale Entwicklung, die daraus folgte, gottgegeben. Und jetzt erkläre mir mal einer, wieso ich diesen Blödsinn beim Spiegel lesen muß!

Die TAZ fragt, ob es Armut gäbe in Deutschland und kommt zu einigen interessanten Antworten, unter anderen der, daß “die große Mehrheit der Journalisten [...] ausschließlich Freunde [hat], die auch Journalisten sind“. Deshalb erfahren wir also von den Arbeitslosen nur, wie sie sind (faul, überflüssig, wertlos) und nicht, wie es ihnen geht.
Reichtum, so stellt die ZEIT fest, gibt es hingegen durchaus, zum Beispiel bei den Beckhams. Victoria, Gönnerin ihrerselbst, versuche, sich selbst zur Marke zu machen. Niemand weiß, wofür oder was die Dame überhaupt je geleistet hat, aber das will auch gar niemand wissen. Niemand neidet es den Beckhams, daß sie strunzdumm und meist unmotiviert sind und es trotzdem zu etwas gebracht haben. Im Gegenteil: “Die Beckhams sind die neue Königsfamilie der britischen working class“. Da sind die Briten wie die Deutschen: Die neue “working class”, eigentlich “unemployed class”, hat die soziale Ungerechtigkeit bereits derart verinnerlicht, daß sie psyschich davon lebt. Es ist geil, daß es pervers Reiche und abartig Arme gibt, denn nur so kann man davon träumen, die Seiten zu wechseln. Wenn einer aus dem White Trash, ungebildet, tölpelhaft und allseits desorientiert, die große Karriere macht, wenn eine magersüchtige Zippe nicht nur für ihren mittelmäßigen Gesang, sondern am Ende für jeden Furz, den sie läßt, die Millionen um die Ohren gehauen bekommt, das ist es, was das Leben lebenswert macht. Wenn die beiden dann noch kund und zu wissen geben, die Dame des Hauses wünsche sich “endlich ein Mädchen, zur Not adoptiert. Einen Namen
hat sie auch schon: Namulinda. Das heißt in einer afrikanischen Stammessprache Prinzessin
“, dann schließt sich der Kreis. Während die Neger aussterben, weil es kein Wasser gibt, lebt ihre schöne Sprache weiter – im Kinderzimmer der Beckhams. Und das Volk jubelt der Prinzessin zu.

Mit einer merkwürdigen Argumentation, der ich mich nicht wirklich anschließen möchte, hebt ein Artikel auf Spiegel-online an, der zu einem richtigen Schluß kommt: Daß nämlich im nur vorgeblich freien Handel Beschränkungen durchaus üblich und auch notwendig sind. Erschütternd ist die Erkenntnis, daß in dar Tat jede Ware subventioniert und jeder Markt irgendwo abgeschottet wird, nur die Ware Arbeit nicht. Ist das der Kern des Neoliberalismus, daß Arbeit als minderwertigste Ware überhaupt betrachet wird? Liegt das Versagen der Gewerkschaften darin, daß sie den Wert der Ware Arbeit nicht aktiv am Markt verteidigen? Die Forderung von Mindestlöhnen bleibt jedenfalls eine Lachnummer, wenn sie ernsthaft nur national angedacht ist.

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