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Juli 2006


Beispielhaft für das derzeit weit verbreitete öffentliche Gestammel über Medizintechnikmißbrauch bei Leistungssportlern titelt Sport1 “Die Liste der Schande”. Es wird mittelalterlich formuliert. Versuchung, Schande, Sünder, Moral, Strafe! Das dahinter stehende Denken ist exakt auf diesem Niveau, und so werden nicht nur drastische Strafen gefordert, sondern gleich das Prinzip “Schuldig bei Verdacht” durchgezogen. Die Organisationen, die ihre Existenz und vor allem den Reichtum ihrer Anteilseigner denen verdanken, die jetzt auf den “Scheiterhaufen” geworfen werden sollen, sollten sich dringend ärztlich untersuchen lassen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, ob diese Blödheit angeboren ist oder mit der Einnahme illegaler Drogen zu tun hat.

Ähnlich geistig begrenzt wie die Funktionäre sind die erwischten Fahrer. Nicht nur, daß sie glauben, man würde sie nicht erwischen. Nicht nur, daß sie nicht den Charakter haben, von sich aus etwas gegen den unfairen Wettbewerb zu tun. Am schlimmsten wird es, wenn sie sich zu ihren Taten äußern. Dann reagieren sie wie der Kleinkriminelle mit dem talentierten Anwalt in der Familie: Erst mal leugnen, dann evtl. zugeben, was eh bewiesen ist und schließlich versuchen, sich mit sinistren Winkelzügen aus der Sache herauszuwinden.
Es ist ja richtig, daß letzlich der Fahrer entscheidet, ob er den Stoff will oder nicht. Es ist aber auch der Fahrer, der glaubt, das sei so in Ordnung. Oder der sich dazu gezwungen fühlt. Wie kommt er dazu? Wie kann man ihn eines besseren belehren?
Die nötigen Erkenntnisse und Konsequenzen, die ein Ende des Dopingalltags zeitigen können, können nur von den Fahrern selbst kommen. Von den erwischten und den nicht erwischten. Sie müssen auspacken, sich gegen den Druck wehren, der dazu führt und einen fairen Wettbewerb unter sich ausmachen.
Sie werden allerdings niemals aus der Deckung kommen, wenn man ihnen diese Chance systematisch nimmt, indem man sie zum Schweigen verdammt. Laßt sie aussagen. Gewährt ihnen Amnestie!

Zu spät und immer noch zu zaghaft geht die Bush-Administration gegen die Presse vor. In anderen demokratischen Staaten wäre es ein Skandal, in den U.S.A. inzwischen nicht mehr, wenn die Regierung direkt versucht, Einfluß auf eine Redaktion auszuüben. Immerhin eine Art Enischüchterung, und von daher ein Schritt in die hier am Sonntag skizzierte Richtung. Ist schon jemand verhaftet worden?
Die Justiz läuft ja jetzt auch endgültig aus dem Ruder. Wenn das so weiter geht, frißt die demokratische Substanz der U.S.A. noch die eigene Regierung und spuckt sie aus. Gern würde ich für diesen Fall die Grenzen meines Antiamerikanismus’ öffnen.

Die Hisbollah hat eine perfide neue Taktik entwickelt, die zu erheblichen Verlusten unter israelischen Soldaten geführt hat. In der Nacht zu gestern haben die Extremisten Fahrzeuge und Gebäude der gegnerischen Armee mit der Aufschrift “UN” versehen oder mit roten Kreuzen bemalt. Diese wurden dann amTage von israelischen Kampfhubschraubern zerstört. Flehentliche Aufforderungen ihrer Kameraden, den Beschuß einzustellen, wurden von den Piloten ignoriert.

In den USA gibt es eine Debatte um die Frage, ob George W. Bush Angela Merkel sexuell belästigt hat. Ich sehe vor meinem geistigen Auge zitronensaure Mienen und Gesichter, aus denen der Kaffee fällt. Nein, man möchte sich das nicht vorstellen. Je nach politischer Korrektheit handelt sich hierbei ja auch um eine akademische Debatte oder ein “Wehret-den-Anfängen”.
Was auffällt: Bush Junior ist in allen Belangen drittklassig. Auch die sexuellen Eskapaden seines Vorgängers, der “keinen Geschlechtsverkehr” mit seiner Praktikantin hatte, waren auf einem völlig anderen Niveau. Amerikaner, macht Schluß mit dieser Niete, impeach him!

Ein gar fröhliches Gut ist das Recht. Man kann es auslegen, nutzen, beugen, ändern und vor allem mit unterschiedlichem Maß bedienen. Das übrigens meint Justitias Blindheit, nicht etwa, daß sie nicht wüßte, wer da vor ihr steht.
Zwei Beispiele aus der aktuellen Scheinheiligkeit:
Der Radsportler Ullrich wird des Dopings verdächtigt. Juristisch wird ihm eine Schuld wohl nicht nachgewiesen werden, er bestreitet überdies, wenig überzeugend allerdings, jede Missetat, sprich: gedopt zu haben. Nützen wird ihm das womöglich wenig, denn die Organisation derer, die vom Doping ihrer Superhelden am meisten profitieren, wird ihm vermutlich mit einem Berufsverbot belegen. Evtl. vier Jahre, das ist in seinem Fall lebenslänglich. Schuldig bei Verdacht ist seit neuestem nämlich jeder, und was “Verdacht” bedeutet, darüber werden in Zukunft noch bizarre Schlachten geschlagen werden. Wie dem auch sei – es müssen Exempel statuiert werden gegen die Verbrecher am Sport.
Woanders geschehen die Dinge ganz legal, zum Beispiel dort, wo Israel bombt. “Die Verwendung von Streumunition ist nach internationalem Recht legal, und die israelische Armee verwendet solche Munition in Übereinstimmung mit internationalen Standards”, heißt es. Nach internationaler Realität ist es Standard, daß Streubomben zunächst sehr effizient sehr viele Menschen töten und gleichzeitig Blindgänger hinterlassen, die wie Landminen noch Jahre später hochgehen können. Ganz legal wird so eine Infrastruktur nicht nur zerstört, sondern mit explosiven Hinterlassenschaften verseucht.
Dafür wird niemand belangt, vor Gericht gestellt oder bestraft.
Wäre es nicht besser, man würde die Soldaten mit allem nötigen Dope versorgen, sie die Berge hochjagen und wenn sie dann noch Lust haben, sich gegenseitig totschlagen lassen? Könnte man statt dessen nicht die Hersteller solcher Bomben mit Berufsverbot belegen, sobald der Verdacht besteht, daß sie welche verkauft haben könnten?

Einen hervorragenden Artikel über den Mythos des Mißbrauchs von “Hartz4″ findet sich heute in der FR. Angesichts der Fakten fragt man sich, warum die Leute sich noch immer derart beleidigen lassen.

2,5 Millionen Kinder leben in Sozialschmarotzerhaushalten. Sie haben dort deutlich schlechtere Bildungschancen als die Kinder richtiger Eltern, wachsen aber mit HartzIV-Betrug auf, als sei der etwas ganz normales. Das kann ja heiter werden!
Kein Betrug ist es übrigens, wenn man sich als Lobbyist oder gar als Anteilseigner quasi selbst überwacht. Das ist nämlich “beamtenrechtlich nicht verboten“. Wer viel arbeitet, darf auch viel profitieren. Ohne Fleiß kein Preis. Das Glück des Tüchtigen. Wer nicht arbeitet, muß auch nicht essen.

Unter dem Titel Hartz-IV-Betrügern auf der Spur findet sich in der Süddeutschen ein Artikel. Schon das ist Grund zur Abscheu, denn wenn Journalisten schon nicht kapieren wollen, daß die Permanenz der Erwähnung von “Betrug” im Kontext mit ALG II – Beziehern stigmatisiert, wie sollen dann erst Politiker davon abgehalten werden? Die Schreiberin geht aber noch weiter und nennt die betroffenen “Sozialschmarotzer”, ohne sich noch um die Verwendung von Anführungszeichen zu bemühen. Bravo!
Sachinhaltlich macht der Artikel stutzen, vor allem wenn es um die gerandiose Idee geht, “eheähnliche Gemeinschaften” als solche zu entlarven. Nicht ganz deutlich genug wird dabei folgender Einwand: “Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag,
befürchtet eine soziale Isolation der Langzeitarbeitslosen. Keiner
werde mehr mit ihnen zusammenwohnen wollen. Und teurer für den Staat
wird dies mittelfristig allemal.
” Das Zitat soll wohl Ausgewogenheit suggerieren. Man sollte den Inhalt aber durchaus ernst nehmen. Zwar ist zweifehalft, ob niemand mehr mit Arbeitslosen zusammenleben will, aber das Argument ist triftig. Hinzu kommt noch ein ganz anderer Effekt: Während bislang noch gemeinsame Haushalte entstanden, um Kosten zu senken, was dem Staat zugute kam, werden genau die potentiellen Leistungsempfänger davon in Zukunft durchweg Abstand nehmen. De-facto-Lebensgemeinschaften bleibt nur der Aufbau eines zweiten Haushaltes, um verlustfrei davonzukommen, und niemand kann ein Paar zwingen, sich nicht zu trennen. Was die Schnüfflei bewirkt, ist also ganz sicher eine Kostensteigerung. Aber man gönnt sich ja sonst nichts. Nicht einmal Steuerfahnder.

Nachdem der Fußball die Politik drei Wochen lang so herrlich entlastet hat, ist es wohl an der Zeit, daß die Politik den Fußball belastet. Michel Platini will UEFA-Chef werden. Im Gegensatz zu den anderen Lichtgestalten und Schacherweltmeistern hat er eine Vision, bezeichnet sich als “Romantiker”. Platini will die Jugend fördern und die Entwicklung des Sports auf einer breiten Basis. Die Underdogs liegen ihm mehr am Herzen als die großen Vereine und Veranstaltungen. Ja, is scho wieda Weihnochtn? Wo kämen wir hin, wenn wir künftig mehr Zeit mit der Talentsuche verbrächten als mit der Pflege der Sponsoren? Der Mann ist wahrlich in die falsche Zeit geboren. Vielleicht erbarmt sich doch noch die Lichtgestalt, wird FIFA-Chef auf Lebenszeit und gibt dem Franzmann von von oben was auf den Deckel. Das wäre eine kleine Wiedergutmachung, nachdem er Klinsmann nicht verhindert hat.

Aus aktuellem Anlaß (NIX los) hat Feynsinn sein Institut für Sozialforschung beauftragt, ein Ranking zu erstellen. Herausgekommen ist eine Gegenüberstellung der zehn je anerkanntesten und meist verabscheuten Berufe. Was ist

IN:
Waffenhändler
Hundefriseur
Berater (MdB)
Klingeltonhändler
Kreatiever (Werbunk)
Berater (gute Kontakte zur russischen Regierung)
Statistiker (Demoskopie, Rankings)
Berater (neoliberal, egal was)
Betriebswirtschaftler (Berater)
Partygirl

OUT:
Lehrer
Klofrau
Volkswirtschaftler
Handwerker (sozialversichert)
Arbeitsloser (auf Jobsuche)
Freier Journalist
Einzelhändler
Entwicklungshelfer
Forscher
Astronaut
23.07., 21:37, 28°.

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