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Januar 2006


Unser Mann für Sicherheit, Innenminister Schäuble, träumt vom großen Terrorkrieg. Vor dem Wochenende ließ er verkünden, er erwarte einen Anschlag mit einer schmutzigen Bombe SPIEGEL. Um sein Schreckensszenario zusammenzuzimmern, schwadroniert er über ein unzivilisiertes iranisches Regime, “Kreise terroristischer Aggressoren” und dem , was man “aus dem Internet” weiß.
Was man nicht wisse, sei das Wann und Wo. Eine allgegenwärtige, weil ortlose Bedrohung mit “Atom”. Hilfe!

Außer Schäuble regiert sonst nur noch George W. Bush mit Hilfe solcher Huibuhgeschichten, und der gibt wenigstens so viel Geld dafür aus, daß sie gelegentlich wahr klingen. Schäuble, Präsidiumsmitglied in der Partei der Atomkraftbefürworter, langweilt sich offenbar. Deutschland ist ihm wichtig genug, von Terror bedroht zu werden. Der Arab aber will das nicht kapieren, also muß man ihn beschwören und ein bißchen Panik verbreiten. Denn nur, wenn die Leute sich bedroht fühlen, suchen sie jemanden, der sie vor den Gefahren schützt. Gut, daß Schäubles Spukgeschichten niemanden beeindrucken. Glaubt er denn ernsthaft, man würde bei ihm Schutz suchen?

Macht es einen Bericht wirklich interessanter, wenn man permanent darauf hinweist, was im schlimmsten Fall passieren kann? Der SPIEGEL scheint dieser Meinung zu sein. Das Getratsche über die zwei (!) Agenten des BND in Bagdad hat diesen Effekt schon weidlich ausgekostet, aber es scheint noch nicht genug zu sein:
“Auch könnten politische Gruppen die beiden Männer für Agenten halten, nachdem sie die Berichte über die BND-Mission im Irak-Krieg mitbekommen haben.”
Das ist wüste Spekulation. Wer behauptet denn, daß sie irgend etwas davon gehört haben? Wo außer in Deutschland wird die BND-Geschichte derart hysterisch aufgeblasen? Warum sollten ausgerechnet Deutsche nicht entführt werden? Und gerade wenn die Berichterstattung dazu beitragen kann, daß es gefährlicher wird, wäre es dann nicht an der Zeit, sich auf Fakten zu beschränken und ggf. zu schweigen?
Aber es ist ja viel spannender, zu fragen, was alles passieren kann und wer schuld ist, so schließt denn der Artikel auch mit der Hoffnung auf den worst case, der weitere spannende ‘Nachrichten’ verspräche:
Im schlimmsten Fall würde dann der Krisenstab im Auswärtigen Amt langsam zur Dauereinrichtung.
Wenn ich solchen Blödsinn lesen will, kann ich gleich die Vierbuchstabenzeitung kaufen.

Man könnte es auch “Zitat des Tages” nennen. Frech will ich dieses sonst so bescheidene Blog mit fremden Federn schmücken, hier einem Satz von
Wiglaf Droste (TAZ)
über die Enzyklika des Wirsindpapstes:

“Von der zwanghaften, unappetitlichen Blutsäuferrhetorik abgesehen: Klar, warum nicht bei Jesus die Liebe suchen? Abgefuckter als eine Internet-Partnerbörse ist der Tempelkrempel auch nicht”.

P.S.: Wiglaf darf mich dann natürlich auch zitieren.

Erwartungsgemäß hat die Hamas die Wahlen in Palästina gewonnen. Als hätte man das nicht wissen können, reagiert die U.S.-Regierung wie immer, wenn ihr etwas nicht paßt: Sie akzeptieren es nicht und grenzen aus [SPIEGEL]. Es ist wahr, daß die Hamas in ihrem offiziellen Getöse die Vernichtung Israels verkündet. Es ist wahr, daß von ihr Terroranschläge verübt werden. Es ist aber ebenso wahr, daß sie an den Wahlen teilgenommen und sie gewonnen hat. Sie repräsentiert jetzt zuvorderst das palästinensische Volk, so wie die Republikaner das amerkikanische, ob es einem paßt oder nicht.
Die Spielregeln der Demokratie wollen es so, daß auch Kriegstreiber und Terroristen, wenn sie denn die Mehrheit gewinnen, demokratisch legitimiert sind. Nun muß man damit umgehen.
Die Fatah war dereinst übrigens keinen Deut besser. Arafat war ein Terrorist. Man hat trotzdem mit ihm verhandelt, und das war richtig. Auch die Hamas wird, wenn man sie ernst nimmt, lernen, daß in der heutigen Welt nur mit friedlichen Mitteln Staat zu machen ist. Man kann ihr jetzt die Gelegenheit dazu geben oder sie auf den Terror als einziges Mittel festlegen. Diese Entscheidung darf man nicht der paranoiden Weltinnenpolitik eines George W. Bush überlassen.

Der Traum aller Abgemahnten ist gestern im Streit um einen Hocker wahr geworden [ WDR ]. Es ging um den sogenannten “B9″ von Marcel Breuer. Die Firma Tecta wähnte sich im Recht, das Möbel exklusiv produzieren zu dürfen. Daher verklagte Tecta u.a. die Firma Knoll, die ebenfalls “B9″ baut. Der Schuß ging gehörig nach hinten los: Knoll konnte nämlich einen Vertrag mit dem Designer selbst vorweisen, der älter ist als der zwischen dessen Witwe und Tecta geschlossene. Revision gegen das Urteil ist übrigens nicht möglich. Tecta, die sämtliche Gewinne der letzten Jahre an Knoll abführen müßten (siehe hier), wollen es jetzt mit der Berufung versuchen. Die Aussichten dürften eher mager sein.
Vielleicht ist das ein guter Tip für die Betreiber von Webauftritten: Schaut doch mal, ob sich nicht irgendwo ein alter Knebelvertrag aus dem Mittelalter findet, mit dem sich die fleißigsten Abmahner reinlegen lassen! Den Spaß hätten wir doch gern öfter.

Das “Unwort des Jahres” kommt wieder einmal aus dem Ökonomenkauderwelsch. Nachdem schon in 2004 “Humankapital” mit dem Preis für besondere Verdienste gegen die Sprache ausgezeichnet wurde, tummeln sich in diesem Jahr laut SPIEGEL gleich mehrere Begriffe aus der Kaderschmiede des Wortdesigns unter den häßlichsten des Jahres: “Smartsourcing”, “Qualitätsoffensive”, “unternehmerische Hygiene”. Nun fragt man sich, ob die Gesellschaft für deutsche Sprache ein Haufen stramm linker Marktwirtschaftshasser ist oder ob es wirklich eine Affinität der Wirtschaftssphäre zur Sprachvergewaltigung gibt. Wohlgemerkt: Es ist nicht die Werbebrache, die für ihre Hirngespinste abgemahnt wird, sondern die Chefetage des deutschen Managements. Was steckt dahinter? Ist es die Macht der Rhetorikkurse? Die “Sorge dich nicht – lebe” Mentalität? Oder doch “verdinglichtes Bewußtsein”?
Zum Begriff selbst muß allerdings festgestellt werden, daß er nicht einmal aussagt, was er sagt. Wenn “Entlassungsproduktivität” “gleichbleibende, wenn nicht gar gesteigerte Arbeits- und Produktionsleistung” meint, müßte es eigentlich “Nachentlassungsproduktivität” heißen. Konsequent gedacht, verbirgt sich hinter dem Unwort etwas anderes, nämlich die Produktivität von Entlassungen und von deren Ankündigung. Man kennt das: Ein Konzern kündigt Entlassungen an, und der Börsenkurs steigt. Das zusätzliche Kapital kann dann zur Steigerung der Produktivität genutzt werden. Das ist zwar auch etwas holprig, benennt aber einen Effekt, für den dringend ein Begriff nötig wäre. Warten wirs ab – das nächste Unwort kommt bestimmt!

Die US-Regierung versucht, den deutschen Richtern Konkurrenz zu machen in Sachen Internetkompetenz. Natürlich geht es amerikanischer zur Sache, am Ende aber lacht auch dort der Amtsschimmel, bis die Apotheke kommt.
Es geht um Porno. Die republikanischen Kreuzritter wollen die armen Kinder vor Bildern von nackten Menschen schützen. Ein Jugendlicher, der sieht, wie es beim Rammeln und Blasen zugeht, wird womöglich traumatisiert und faßt nie mehr ein Gewehr an. Das muß natürlich verhindert werden.
Die Mittel, die dabei zur Anwendung kommen sollen, orientieren sich am neuen Amerika, sind sie doch drastisch, unüberlegt und nicht eben freiheitlich. Der Patriot Act läßt grüßen, und leider ist damit nicht die Darstellung eines nackten Amerikaners gemeint.
Zur Sache: Die Bush-Regierung will massenhaft Daten von Suchmaschinenbetreibern einsammeln, um damit zu beweisen, daß Porn beliebt ist und deshalb undemokratisch. Justizminister Gonzales ging dabei so weit, daß er laut SPIEGEL Zugriff auf “alle URLs, die durch Ihre Suchmaschine am 31. Juli 2005 zugänglich waren” verlangte.
Leider kam niemand auf die Idee, diesen Wunsch zu erfüllen – unter der Bedingung, daß die Regierung die überlassenen Daten vollständig ausdruckt. Google war so bescheiden, die Forderungen schlicht abzulehnen.

Das Geldgeschäft ist ein gar lustiges Spiel. Nervöse Menschen sind wohl gar nicht schlecht beraten, wenn sie die Noten unter der Matratze horten, für alle anderen gilt: Ruhe bewahren! Ein bißchen Yoga, Atemübungen und eine gehörige Portion Ignoranz können da helfen.
Was wann warum passiert, ist eine Frage vor allem der Kommunikation. Es gibt nichts wirksameres, als ein falsches Wort zur falschen Zeit. Wie jetzt zum Beispiel eine Ratingagentur, die einen Immobilienfonds zum Verkauf empfohlen hat. Da geht also eine Truppe von Geldexperten hin, sagt: “Leute, das Zeug ist sein Geld nicht wert”, und schon ziehen die Anleger massenhaft ihr Geld heraus. Nachdem die Deutsche Bank schon einen Immobilienfonds geschlossen hat, kam die zweifelhafte Bewertung von Kan Am [FTD] zur Unzeit. Moral und Geldgeschäft: Man kann sich nicht recht des Eindrucks erwehren, daß die Mißachtung sozialer Kompetenzen im Management allmählich aufs Geschäft selbst durchschlägt. Man könnte meinen, es herrsche allenthalben Verantwortungslosigkeit. Diese wird massiv geschäftsschädigend und könnte bei glücklicher Fügung zu einer Rückkehr der Moral ins Geschäft führen.
Könnte!
Einstweilen ist business as usual, und der der Anleger wird zur Ruhe ermahnt. Als Kopper dereinst von den “Peanuts” sprach, meinte er übrigens nicht das Geld, ihr dummen Nüsse!

Gegen Hilmar Kopper, Aufsichtsratschef von DaimlerChrysler, ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft wegen eines Indsidergeschäfts SPIEGEL. Der Exchef der Deutschen Bank hat dieselbe vorab vom Rücktritt des Daimlerchefs Schrempp informiert. Die Deutsche Bank hat daraufhin flugs Aktien im Wert von 1,4 Milliarden Euro verkauft.
Es ist erstaunlich, daß es nicht nur ein Gesetz gegen Insiderhandel gibt, sondern daß immer wieder Verstöße dagegen aufgedeckt werden, vor allem bei prominenten Börsianern. Da soll mal einer sagen, das Geschäft mit dem großen Geld unterliege keinen Regeln! Da ruft der Hilmar seinen Freund Jo an, und schon steht er mit einem Fuß im Knast! Das ist weder sinnvoll noch gerecht. Höchste Zeit, das Spiel für Insidergeschäfte ganz zu öffnen – als ob irgendwer besser schliefe, wenn es verboten bleibt! Im Gegenteil könnte sich so mancher Lerneffekt ergeben, wenn sich die Konzernlenker durch taktisches Informationsmanagement ständig gegenseitig reinlegen würden. Womöglich ginge ihnen dann auf, daß Regeln gar nicht so schlecht sind und daß wir sogar noch einige mehr brauchen könnten.
Wie dem auch sei – was bringt es, jetzt gegen Kopper und Ackermann nachzukarten? Leute, im Grunde reden wir hier doch von Peanuts.

Das nächste Windows kommt bestimmt. Es heißt “vista” und verlangt alles von Mensch und Maschine.
Wenn man sich anschaut, welche Hardware Microsoft empfiehlt [ CHIP ], staunt man. Das alles für ein Betriebssystem?
Wie war das noch – die immer benutzerfreundlicheren Versionen von Linux hatten noch das Problem, das neuere Hardware oft nicht so leicht angesteuert werden konnte? Auch das Problem ist bei weitem nicht mehr so groß wie noch vor einigen Jahren. Und wenn Windows jetzt von uns verlangt, die alte Hardware wegzuschmeißen, fragt sich, wer noch das viele Geld dafür ausgeben soll?
Schauen sie dochmal rein, bei Ihrem Linux-Distributor, Sie werden erstaunt sein: Gutes muß gar nicht teuer sein. Achja: Und wenn Sie Sicherheitslücken brauchen, lassen Sie doch einfach die Haustür offen stehen!

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