Kultur


 
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Ich hatte einmal beruflich mit einem Jungen zu tun, dessen Eltern äußerst gut betucht waren. Das hielt ihn aber nicht davon, sich als “Homie” aus dem “Geddo” aufzuführen, weil er sich eben für einen hielt und “reiches Muttersöhnchen aus der Villa” uncool gewesen wäre. Dieses Phänomen erinnerte mich wiederum an das Gebaren zugereister BRD-Bürger in Berlin in den 80er Jahren. Diese überangepassten Möchtergern-Berliner, die sich stante pede ein “Icke, wa”-Identitätssurrogat zugelegt hatten, mussten daher Besucher aus Restwest wie mich ständig als “Wessis” markieren.

Es durften fortan zum Beispiel keine “Brötchen” mehr geholt werden. Ich meine, selbstverständlich konnte ich bei begriffsstutzigen Altberlinern, die das nicht anders kennen wollten, auch Schrippen bestellen. Dass ich aber den Knilch, der 20 seiner 21 Jahre nicht einmal gewusst hatte, dass es Schrippen überhaupt gab, nicht mehr “Brötchen Holen” schicken durfte, machte mich wundern.

Ich wohne derzeit in einer der reichsten Wohngegenden ‘meiner’ Stadt und kann mir das nur zufällig deshalb leisten, weil es mich in eine Oase der Bezahlbarkeit verschlug. Ich empfinde das in der Regel als angenehm, wenn hier niemand auf die Straße scheißt und man seltenst von Prügeleien in der Nachbarschaft hört. Doch, ich mag Zivilisation, ich kenne nämlich auch deren Grenzen.

Brauch ich nicht

Wo ich herkomme, war es als Kind oder Jugendlicher erstens besser, Brüder zu haben und zweitens angesagt, austeilen zu können. Wer sich nicht traute, kriegte auf die Fresse, und zwar regelmäßig. Es gab alteingesessene Asi-Clans und eingebürgerte Türken-Gangs, Einzelschläger und lose Koalitionen. Es gab Ecken, da trieb man sich nicht herum, wenn man keinen dort kannte, Leute, mit denen man sich nicht anlegte und immer wieder Begegnungen, die mit einer Drohung nicht geregelt waren. Auf der Straße und in der Schule. In der Regel waren keine Waffen im Spiel, aber Gewalt war Alltag. Muss ich heute nicht mehr haben.

So, und jetzt mal kurz zu den “Kiezbewohnern”: Wer stolz darauf ist, sich auf seine Mitbürger hetzen lassen, weil er nicht das Hirn hat seine wahren Feinde zu erkennen, ist schlicht ein Schwachkopf. Wer mit ein paar besoffenen Pennern durch die Nacht zieht, Scheiben einschmeißt und das “Kiezmiliz” nennt, hat einen scheiß Pfeil im Kopf. Armselig genug.

Aber wer aus Muttis Rockschößen direktemang in ein vor Jahrzehnten mal verruchtes Viertel zieht, um als Kämpfer für Gott und Mittelschicht die Gentrifizierung zu ihrem veganen Abschluss zu bringen, möge mir gefälligst die Impertinenz der Behauptung ersparen, er sie es lebe jetzt “auffem Kiez”. Es gibt keinen Kiez. Nicht da, wo ihr euch hintraut. Könnt ihr ganz leicht erkennen: Wo Kiez ist, wird euch im Szenerestaurant die Schnabeltasse gereicht und das Gemüse schmeckt nach Blut.

 

Infolge des aktuellen Niveaus sogenannter “Politik” möchte man sich abwenden und schweigen, zu sagen gibt es zum Treiben auf der Bühne ohnehin nicht viel. Ich mag daher wie gesagt die Depression auch nicht bloß vorantreiben, sondern andere Wege gehen, über andere Themen schreiben. Wer glaubt, das werde dann unpolitisch, wird enttäuscht werden.

Wo bist du gewesen? Schon gut, wir wissen, wo du warst:
Du warst in der Pipeline, Zeit einfüllen
versorgt mit Spielzeugen und Pfadfinderei
du kauftest eine Gitarre, um deine Ma zu bestrafen
du mochtest die Schule nicht
und du weißt: Niemand macht dir etwas vor.

Willkommen in der Maschine!

Ich möchte über Musik sprechen, z.B. über die Platten, die mich geprägt haben und deren Geschichten. Das Album, das für mich das größte ist seit ich es gehört habe, bleibt “Wish You Were Here” von Pink Floyd. Rock’n Roll war damals durchaus schon kommerziell, wurde aber nicht vom ersten Ton an wie am Fließband produziert. Es gab eine ganze Bewegung von Musikern und Musikerinnen, die nicht ans Kohle scheffeln dachten, sondern an eine bessere Welt. Kritische politische Texte gehörten ganz selbstverständlich dazu, auch und gerade bei den ‘Großen’.

Das Stück, das mich beim ersten Hören schon flashte, war “Welcome to the Machine”. Ich konnte damals gerade genug Englisch, um es zu verstehen. Kurz darauf war ich wochenlang dauerbreit und tageweise dem Leben nicht wesentlich näher als der anderen Seite. Zu dieser Zeit habe ich die Kassette, die mir ein Mitschüler aufgenommen hatte, rauf und runter gehört, wenn ich gerade einmal nicht schlief. Man kann in der Musik baden, die Linien von “Shine On You Crazy Diamond” sind überirdisch, keine große Technik, aber reines Feeling.

Komm rein Junge, Nimm dir ‘ne Zigarre, du wirst es weit bringen.
Du wirst abgehen, du wirst unsterblich sein,
du wirst es schaffen, wenn du’s willst, sie werden dich lieben!

Es funktioniert prima, sich das mit ein wenig Doping oder hohem Fieber anzuhören, aber es geht auch völlig ohne. Auf dem Album gibt es kein Stück, keine Sequenz, die ich nicht anhimmeln könnte. Sogar “Have A Cigar” ist wirklich großes Kino, was mir erst recht spät aufgegangen ist. Nicht nur der Text ist gut und noch immer aktuell, auch der – im Album etwas aus der Rolle fallende – Groove ist großartig, was mir u.a. durch eine Coverversion von The Who auffiel.

Der kryptische Text von Shine On You Crazy Diamond ist übrigens eine Hommage an Syd Barrett, der sich mit diversen Substanzen das Hirn leergefegt hatte. Der kreative Kopf der frühen Floyd hatte den zuvor düsteren und psychedelischen Sound geprägt, der durch den leichter verdaulichen, mehr zum Mainstream neigenden seiner Nachfolger Gilmour und Waters abgelöst wurde.

Auch die Konzeptalben “The Dark Side of the Moon” und “The Wall” gehören zu den herausragenden der Popgeschichte, und auch wenn Egomane Roger Waters darin seine Biographie verwurstet hat, ist das Werk ein einziger Abgesang auf die Nachkriegsgeschichte, die große Droge “Konsum” und die Zurichtung der Menschheit auf etwas, das später “marktgerechte Demokratie” genannt werden würde. Das alles ist nicht vom Planeten verschwunden. Es wartet vielmehr auf eine Wiederentdeckung.

 
Wie meine geneigten Kommentatoren und Kommentatorinnen mit teils weit geöffneten Gesichtsluken zur Kenntnis nehmen durften, ist aktuell eine Guitarre auf dem sprichwörtlichen Weg, den Besitzer zu wechseln. Ich verneige mich noch einmal vor so viel Großherzigkeit, will es aber nicht dabei belassen, sondern ein wenig über persönlichen Besitz und dessen Handhabung plauschen.

Zunächst ist da der quasi kindliche Drang zur Aneignung, den man eben nicht zufällig bei den Kleinen beobachten kann: Sie bekommen gern etwas geschenkt, wollen haben, bestaunen, erfreuen sich am Neuen. Das steht zunächst nicht in einem Zusammenhang mit Nutzen, Zweck oder Sinn, es ist einfach im Wortsinne reizend. Danach schon scheiden sich die Geister: Die einen horten und wollen um nichts in der Welt sich wieder trennen vom erworbenen Gut, die anderen überführen das Zeug seinem Nutzen, schenken es weiter, legen es beiseite oder vergessen es einfach.

Der Weg in den Irrsinn

Schon in frühen Phasen der Entwicklung zeigt sich so etwas wie Charakter, der gemeinhin freilich noch formbar ist. Das mag zu tun haben mit Erfahrungen in der ‘analen Phase’, wie Herr Freud nicht völlig unzutreffend beschreibt, es mag andere Gründe haben, es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die Problematik Eigentum/Besitz etwas quasi Natürliches an sich hat, jedenfalls ein urwüchsiges Kulturphänomen ist. Was daraus wurde in der kapitalistisch geprägten Gesellschaft, spricht hingegen jedem Sinn und Verstand Hohn.

Der Umgang damit ist entscheidend für die Gesellschaftsform und selbstverständlich umgekehrt. Ich mag an dieser Stelle gar nicht lange eingehen auf den irrsinnigen Kult, der das Eigentum, das Privateigentum gar (solches an Produktionsmitteln also) zum höchsten Gut verklärt. Das richtet sich selbst, es hilft dagegen wie bereits gestern gesagt kein Argumentieren. Vielmehr will ich darauf hinweisen, dass ein Gefühl der Schuld meist nicht fern ist, ausgerechnet wenn die Übertragung von Eigentum eben nicht zu sogenannten “Schulden” führt. Genauer muss ich sagen: Wenn sie sich der Sphäre der Geschäftlichkeit entzieht. Reguläre Geschenke wie zu Geburtstagen sind also nicht gemeint, denn dies ist das Reservat der Gabe in der Geschäftswelt.

Das musst du dir verdienen

Was darüber hinaus geht, hat den Ruch des Almosens, welches wiederum den Gedanken der Gabe in besonders perfide Gefilde führt. Wer es nötig hat und bekommt, ohne darauf ein Recht zu haben, habe seinen Rücken besonders tief zu beugen, lebt damit unverdient. Selbst die Attitüde höherer Stände bedient sich des Motivs: “Womit habe ich das verdient?” ist die Frage für Gelegenheiten, in denen das Quid pro quo Pause hat. Von einem Fremden etwas geschenkt zu bekommen, hat schließlich etwas Übergriffiges, verletzt die Privatheit. Man lässt sich nicht von irgendwem etwas schenken, man schläft nicht unter freiem Himmel und lässt sich öffentlich nichts schenken. Das setzt den Beschenkten in den Rang eines solchen, der nicht zur bürgerlichen Gesellschaft gehört. Bürger ist der, der es sich verdient. Alles. Es ist schon eine Art Reflex: Was muss ich jetzt dafür tun?

Dies Tunmüssen ist zu einer Krankheit erwachsen, die täglich bizarrer wird, Arbeit ihr Medium. Kuriert wäre sie, wenn die Besitzverhältnisse sich nicht nur vom bürgerlichen Eigentumsfetisch lösten, sondern endlich auch von der Arbeit. Man muss es sich nicht verdienen; es ist da und soll einen Zweck erfüllen. Freude ist dabei derjenige, der dem Irrsinn aufs Übelste zum Opfer fiel. Das muss anders werden. Ich habe mich von der Aktion inspirieren lassen und möchte für diesen Teil meiner Welt Konsequenzen daraus ziehen. Zwar beabsichtige ich nicht, hier eine Geschenke- oder gar Tauschbörse einzurichten, ich biete aber ausdrücklich denjenigen, die hier diskutieren und Kommentare zu den Artikeln schreiben, die Möglichkeit, sich zu äußern, wenn ihnen etwas fehlt, eben auch Materielles. Dann sehen wir zu, was wir füreinander tun können.

 
parkuwas
 
Ich hatte Spaß heute im Grugapark. Mir gehen nur die ganzen Deppen mit ihren Kameras und Stativen auf den Wecker. Furchtbar! :-P
 
parklbaeum
 
Das sind natürlich nur grauenhaft verstümmelte Bearbeitungen der Originalfotos. Tatsächlich läuft man übrigens durch so eine Landschaft, um sie sich später in Ruhe anzugucken. Finde ich gar nicht schlimm diese neumodische Konsumkultur. In Großstädten laufen halt viele Leute rum, da gibt es nicht die Muße, das in Echzeit zu genießen. Also knipst man und packt es sich für zu Hause ein. Statt des ewigen Bolero aus dem Parklautsprecher geht dann auch Ummagumma oder was einem sonst so dazu einfällt.

 
Der folgende Artikel ist bereits einige Wochen alt und entstand aus Anlass einer persönlichen Begegnung. Die ‘Diskussion’ bei Klaus neulich unter reger Beteiligung gewisser Hanswurste ist weder Anlass noch Hindernis, ihn jetzt zu publizieren. Eher schon die erbärmliche Empörung derer, die glauben, man habe für drei Euro das Kilo ein Recht auf “Qualitätsfleisch vom Rind” und sich ernsthaft wundern, dass ihnen da etwas vom Pferd erzählt wurde. Die diesbezügliche Bemerkung habe ich natürlich aktuell hinzugefügt.

hoellEin Wort zu Vegetariern und dem, was sie tun respektive nicht tun. Sie essen kein Fleisch. Ihre Argumente dafür sind so stichhaltig, unwiderlegbar, richtig und überzeugend, dass man sie gar nicht wiederholen muss. Ich sage das ohne jede Ironie. Die Gegenargumente sind peinlich und windschief, falsch sowieso und eben das, was geliefert wird, wenn die kognitiven Dissonanzen versuchen, eine Golden Gate Bridge zu konstruieren, um ihre Eseleien darüber in die Gemütlichkeit des rustikalen Steak Houses zu führen. Ich erlaube mir an dieser Stelle eine gewisse Häme, was nicht klug ist, aber Spaß macht – so wie Fleisch essen eben. Ich kenne das nur zu gut – von mir selbst.

Man kann das alles zum Ersten entspannter haben, indem man mal aufs Argumentieren verzichtet. Da ist nichts zu rechtfertigen, außer mit der schlichten Gewohnheit, antrainiertem Verhalten, Konditionierung. Es gab immer Fleisch bei uns, das war das Hauptgericht am Hauptgericht, wir konnten uns das leisten. Für die Generation unserer Eltern etwas, das ihnen Reichtum bedeutete, für uns einfach lecker und selbstverständlich. Wer jeden Tag dasselbe genießt, will darauf nicht verzichten, kann es gar nicht und lässt sich äußerst ungern sagen, er sei deshalb verkommen. Schlimmer noch: Allein der Hinweis darauf, dass das irgendwie nicht selbstverständlich ist, treibt ihm das Adrenalin ins Blut. Kenne ich. Das ist völlig in Ordnung.

Ewige Verdammnis ausgesetzt

Es ist auch in Ordnung zu kapitulieren vor solcher Konditionierung. Festzustellen, dass man das nicht wird überwinden können und sich nicht ändern. Das ist aber absolut kein Grund, diejenigen zu diskreditieren, die in dieser Hinsicht – was können sie dafür – die besseren Menschen sind. Die meisten Vegetarier, die ich kenne, haben keinerlei Ambitionen, uns Fleischfresser abzuurteilen. Dennoch müssen sie sich (!) ständig dafür rechtfertigen, dass sie keine Tiere vom ersten bis zum letzten Tag quälen lassen, bis diese endlich getötet und zu Ware verarbeitet werden. Absurd. Vollkommen absurd, wenn man Kapitalismus noch kritisieren will. Da macht sich mancher derart zum Lampenputzer, dass man ihm ein Hühnerbein ins Maul stopfen will angesichts des Blödsinns, der ihm da herausquillt.

Dabei gibt es einen Ansatz, mit dem jeder Karnivore gut leben kann, selbst wenn er sich kein Fleisch vom Biohof nebenan leisten kann. Man kann einfach weniger davon essen, das ist ein guter Schritt, und wenn das nicht der einzige bleibt, umso besser. Wer selber kocht und die Zeit dazu hat, kriegt das sogar preiswert hin. Man muss nämlich leider feststellen, dass die widerliche Fleischindustrie so effizient produziert, dass alles andere kaum mithalten kann. Wer es nebenbei bemerkt für einen Skandal hält, dann unfreiwillig mit Pferdefleisch gefüttert zu werden, hat allerdings den Knall nicht gehört.

Seitdem ich also die Angst abgelegt habe, in die Hölle zu kommen, wenn ich Fleisch esse, wird das paradoxerweise immer weniger. Es ist auch kaum mehr Industriefleisch dabei, das ich für mich allein überhaupt nicht mehr kaufe. Vegetarische Küche kann saulecker sein, man kennt nur zu wenig davon, wenn es immer Schnitzel gibt. Auch das geht übrigens: Wenn man mit Menschen zusammen lebt, die andere Entscheidungen treffen, muss man sie gar nicht bevormunden oder in Diskussionen verwickeln. Wenn ein Kumpel das Grillfleisch aus der Kühltheke haben will, kann ich ihm das mitbringen. Was er mit der Erfahrung macht, dass ich mir dann etwas anderes brutzele, ist seine Sache. Vielleicht wird er sich sogar genau die Fragen stellen, die er von mir nicht hören möchte.

Man sollte sie auf dem Marktplatz ausstellen, mit einem Schild um den Hals: Die dummen Raucher, die alle nur der coolen Verpackungen wegen quarzen. Stecken wir sie also in uncoole Verpackungen, schon vergeht ihnen der Spaß und sie lassen alsbald ab von ihrem schändlichen Treiben.

Nein, das ist keine qualifizierte Äußerung zum Problem des Rauchens, aber sie ist auch nicht weniger qualifiziert als das, was Raucherhasser bei jeder Gelegenheit ablassen, wenn sie auf das süchtige Pack losgelassen werden. Derzeit werden in Australien offenbar Einheitsverpackungen für Zigaretten eingeführt, und prompt muss auf der anderen Seite der Erde ein Daniel Baumann seinen völlig sinnfrei konstruierten Sermon dazu abgeben. In der FR erklärt er, das sei ein “Sieg für den Gesundheitsschutz”, weil die Produkte sich nur durch die Kampagnen unterschieden.

Klar. Und genau so verhält es sich mit allem auf der Welt: Getränke zum Beispiel. Ob ich ein Weizen, ein Pils, einen Hermitage oder einen Lambrusco kaufe, das liegt alles nur an der Verpackung. Desgleichen gilt für Klamotten, Spielzeug, Autos, Zeitungen … – das wird alles nur wegen des Images gekauft. Niemand würde mehr irgend etwas konsumieren, gäbe es bloß diese Imagekampagnen nicht.

Eine Frage hätte ich da allerdings noch: Woher kommen bloß die 2 Millionen Kiffer in Deutschland?

[Update:]
Es ist doch immer wieder schön, wenn in den Qualitätsmedien Meinungsvielfalt herrscht – eine Vielfalt ähnlich inkompetenter daher geschluderten Meinungen von Leuten, die besser keine haben sollten. Heute widerspricht Grit Beecken ihrem Kollegen Baumann:
Der Konsum von Zigaretten sei seit Einführung von verpflichtenden Warnhinweisen gesunken,
Allerdings weiß keiner, ob das allein an den neuen Verpackungen liegt.”.

Nun, offenbar weiß der Kollege das, wenn auch aus Ahnungslosigkeit. Alle anderen wissen das, weil sie nicht blöd sind. Zum Beispiel ist der Preis der Kippen von 27 Pfennig auf knapp 27 Cent gestiegen in der nämlichen Zeit. Ob das wohl ein Grund dafür sein mag, dass der Konsum gesunken ist? Ach was, im Vergleich zum Effekt der Hinweise “Rauchen ist tödlich” oder “Rauchen lässt Ihre Haut altern“, ist das sicher völlig zu vernachlässigen.

So kenne ich die Diskussion: Verstand ist aus, aber Gehässigkeit ist noch reichlich übrig. Und wo findet man sonst noch eine Minderheit, die es von vorn bis hinten selbst schuld ist? Also: Hirn raus und feste druff!

 
Die Frankfurter Rundschau weiß, wie Menschen zu Zombies werden: Sie nehmen Drogen!

                    hasch
                    Macht Menschen zu Monstern und Killermaschinen:
                    Haschgiftspritze eines Nerdsüchtigen.

Wer die Geschichte des Jacob Anslinger kennt, fühlt sich erinnert und fragt sich, ob das Zeug, von dem da die Rede ist, auch vollkommen harmlos ist und was zur Hölle los ist, dass solche Oma-Horrorgeschichten erzählt werden müssen. Zwei Zitate aus Anslingers Anti-Hanf-Kampagne (Übersetzung von mir):

Die meisten Marihuanaraucher sind Neger, Latinos, Jazzmusiker und Entertainer. Ihre satanische Musik wird von Marihuana befeuert, und Marihuana Rauchen erweckt in weißen Frauen den Wunsch, sexuelle Beziehungen mit Negern, Entertainern und anderen einzugehen. Es ist die Droge, die Wahnsinn, Kriminalität und Tod bringt – die schlimmste Gewalt verursachende Droge in der Geschichte der Menschheit“.

Wenn Sie einen Joint rauchen, werden Sie wahrscheinlich Ihren Bruder töten.”

Warum sollte man diese Geschichte und ihre Hintergründe kennen, wenn man einen Artikel über Drogen schreibt? Warum sollte man überhaupt irgend etwas wissen, wenn man Zeitungsartikel schreibt? Naja, und wenn man Artikel schreibt über Substanzen, die dazu führen, dass man ein kannibalischer Zombie wird, der anderen das Gesicht wegfrisst, was muss man dafür einwerfen?

Journalistischer Horrortrip

Keineswegs behaupte ich, halluzinogene Drogen seien harmlos. Das aber tun genau diejenigen, sie solch einen Stuss schreiben, Arm in Arm mit denen, die Drogen illegalisieren. Wer einen Joint raucht (hiervon muss man inzwischen die abartig hochpotenten Züchtungen ausnehmen, die inzwischen aus Cannabispflanzen designt wurden), wird in der Regel feststellen, dass das weder süchtig macht noch irgendwie alarmierende Zustände hervorruft. Das Dumme ist jetzt, dass Jugendlichen, die damit erste Drogenerfahrungen machen und durch solche Horrorstories “aufgeklärt” wurden, ein fataler Trugschluss nahegelegt wird: Dass illegale Drogen nämlich durchweg beherrschbare Substanzen seien, vor denen nur gewarnt wird, weil die Spießer einem den Spaß verderben wollen.

Wer über Drogen, ihre Wirkungen, Gefahren und den Genuss aufklären will, sollte nicht unmittelbar vorher welche genommen haben. Es ist aber die denkbar dümmste Herangehensweise, aus Sicht einer panischen Ablehnung von Teufelszeugs Töne anzuschlagen, die Ammenmärchen liefern und damit schiere Gegenaufklärung verbreiten. Hier treffen sich die Extremisten beider Fronten, die alles dazu beitragen, einen vernünftigen Umgang mit Drogen und eine fundierte Einschätzung von deren Zweck und Wirkung zu verhindern.

Was die FR betrifft, so ist dieser Quatsch nicht das einzige traurige Machwerk des gestrigen Tages. An anderer Stelle lese ich in bezug auf das Erwürgen der griechischen Wirtschaft: “Wer jetzt Lockerungen verspricht, erschwert nur die nötigen Reformen. Merkel sollte hart bleiben“. Jenes neoliberale Gewäsch also, das man ausgerechnet dort lange Zeit nicht erwarten musste. Gegen den Trend verkommt das Blatt zu einem weiteren Verkündungsorgan der nämlichen Religion. Wer das noch erträgt, braucht sicher Härteres als einen Joint am Morgen.

 
mentzKlaus Baum hat seinem Missmut gegenüber dem unreflektierten Geschwätz einer überschätzten Schriftstellerin bereits deutlich Ausdruck verliehen. Ich fühle mich bewogen, da anzuknüpfen. Zu ihrer armseligen Namenswahl und der depperten Begründung dafür habe ich mich bei Klaus ebenfalls bereits geäußert.

Ich will mich aber auf ein Detail ihrer Äußerungen beziehen, das noch absurder ist als das schon langweilige Blabla neoliberaler Erfolgsmenschen über faule Arbeitslose. Für Klickfaule: Frau “Thea Dorn”, eine meiner Ansicht nach bedingt talentierte Krimischreiberin, die ihren Künstlernamen Adorno ‘widmet’, gab auf die Ansicht, die Mehrheit der Arbeitslosen würden arbeiten wollen, zum Besten:

Dem würde ich empirisch, dem würde ich nicht zustimmen.”

Sich selbst auf der Tasche liegen: die regelmäßige Ausnahme

Bei Klaus Baum wurde dazu hinreichend Stellung genommen. Noch besser aber finde ich folgende Äußerungen:

Ich halte es für die Grundbedingung Menschlichen Lebens, dass wir dazu verdammt sind auf die Welt zu kommen und zuständig zu sein für uns selber [...] und die Tatsache, dass man nicht imstande ist, sich selber zu alimentieren, muss ein Ausnahme- und Notfall bleiben.”

Die Grundbedingung ist es, dazu verdammt zu sein, auf die Welt zu kommen? Das muss ich nicht verstehen. Was ich verstehe, ist dass sie meint, wir alle seien “zuständig für uns selber”, sonst niemand und für niemanden. Dieser grobe Unsinn, den Frau “Dorn” im folgenden in geahnte Untiefen treiben wird, verneint jede Existenz einer Gesellschaft oder Gemeinschaft von Menschen, die füreinander sorgen.
“Alimentieren” bedeutet übrigens ausdrücklich “andere” zu unterhalten. Man kann sich nicht “selbst alimentieren”.

Wohlgemerkt: der in hölzernem Pathos vom “menschlichen Leben” daher kommende neoliberale Sermon belässt es nicht dabei, auf einen Beitrag zur Gemeinschaft abzuheben, den jeder zu leisten hätte. Er vereinzelt den Menschen absolut, die Selbstsorge wird zu einer Art Existenzial. Man muss also so weit gehen festzustellen, dass eigentlich schon der Säugling schuldig wird, weil er an Mutters Brust schmarotzt. Wer das für eine übertriebene Unterstellung hält, sei hiermit eines Besseren belehrt:

Nackte Einzelkämpfer

Selbst wenn wir in reiche Familien geboren sind, kommen wir nackt zur Welt und müssen gucken, wie wir uns durch dieses Leben schlagen“.

Pardon? Die nackten Kinder der Reichen schlagen sich selbst durchs Leben? Was will die im übrigen teilweise schlicht stammelnde Künstlerin uns damit sagen? Die Reichen sind auch Menschen, die sich aber Kleidung und Nahrung ‘verdienen’, weil sie’s eben haben? Was man hat, gilt als Leistung, als “durchschlagen”, und wer nichts hat, schlägt sich nicht durch? Dass Reiche wie Arme vor der Abnabelung noch gleich (nackt) sind, beweist grundsätzliche Gleichheit, welche die Armen sich durch Arbeit “verdienen” müssen? Jene Armen, die mehrheitlich nicht arbeiten wollen?

Die Urheberin dieser Höchstleistung an intellektueller Verkommenheit hat so viel mit Adorno zu tun wie mein Abbild mit dem von Marilyn Monroe. Ist Dorns Ranting schon strukturell völlig verwüstet, bar jeder nachvollziehbaren Grammatik und ein Stiefeltritt ins Gesicht der Logik, besorgt die Faktenlage den Rest: Was nach ihrem Credo “Ausnahme- und Notfall bleiben” soll, betrifft am unteren Ende der Einkommenskurve bis zu zehn Millionen Menschen. Am anderen Ende horten weitere 8 Millionen so viel Vermögen wie die anderen 72 Millionen zusammen. Diese Menschen werden also nie in die Verlegenheit kommen, für ihr Brot arbeiten zu müssen, das tun andere für sie. So viel zu der einfachen Darstellung der Sachlage. Mit Volkswirtschaft mag man ihr ja gar nicht erst kommen, auf der Ebene liegen bei ihr geistige Rossbreiten.

Kein Sinn, keine Ahnung, fest im Glauben

Für die Ignoranz ihrer Weltsicht steht auch der eingestammelte Halbsatz:
… die Piratenpartei, die auf so lustige Ideen kommen wie das Bedingungslose Grundeinkommen
Dass das BGE ein Modell ist, welches unter anderem von Teilen der CDU favorisiert wird und dessen Entwürfe schon Anfang des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden, die bis heute variiert und aktualisiert wurden, muss man ja nicht wissen. Es ist aber umso peinlicher, sie der Piratenpartei unterzuschieben, weil es einem gerade passt, diese vermeintlich zu diskreditieren.

In der Tat stellt sich die Frage, warum niemand diesem unerträglichen Geschwätz Einhalt geboten hat. Spätestens die nackten Reichen wären doch die Gelegenheit gewesen, den Geisteszustand der Rednerin zu überprüfen. Stattdessen werden wir uns wohl immer wieder fragen müssen, wer solche Narren noch zu ernsthaften Diskussionen einlädt und warum. Man zwingt uns ja obendrein auch noch dazu, sie mit der Rundfunkpauschale zu alimentieren.

Klaus Baum hat heute auf eine Art des ‘Argumentierens’ verwiesen, die er „(orwellsche) Umkehrung“ nennt. Es handelt sich dabei um eine verschraubte Projektion – man wirft dem Gegner vor zu tun, was eigentlich die eigene Partei charakterisiert. Ich hatte das dieser Tage, als mir eine Katholikin, die nicht einmal eine Kritik an Ratzinger von Hass auf die Kirche oder ihre Mitglieder unterscheiden konnte, ausgerechnet „Heuchelei“ vorwarf.

      bigott

Solche Anwürfe sind nicht wiklich entwaffnend, wenngleich es im ersten Augenblick so anmutet. Sie sind vielmehr eine Provokation, die kleinen Kaliber zu überspringen und gleich zur schweren Artillerie zu greifen. Solchen Unverschämtheiten ist sachlich nicht beizukommen. Das Maß der Unverfrorenheit, mit dem die Hure der Jungfrau Promiskuität vorwirft oder diese jener Prüderie, ist das Ende jeder Diskussion und die Aufforderung zum Kampf mit den ganz schmutzigen Mitteln.

Das Perfide daran ist die Unschuldsmiene, mit der solche Kriegserklärungen zumeist einhergehen. Selbst wenn einem der Taft sichtbar aus dem Toupet rieselt, gilt man obendrein als Aggressor, wenn man seiner berechtigten Empörung freien Lauf lässt. Man wird dann gegebenenfalls noch kalt lächelnd als „unsachlich“ bezeichnet. Nach einem solchen Überfall bleibt oft der Dreck an einem kleben, der einem am widerlichsten ist.

In der Arena

Was dagegen hilft, ist das, was meistens hilft: Erstens bis drei zählen oder bis zehn und dabei in den Bauch atmen. Derweil gilt es, die Lage genauer zu betrachten. Wenn es nicht pressiert, sollte man solchen Personen nicht mehr Aufmerksamkeit zuwenden als für sie gut ist, also am besten gar keine. Das hängt natürlich vom Auditorium ab. Hat man sich in eine Arena begeben, ist Ignorieren keine Option mehr. Dann hilft nur noch Transparenz. Am besten gespiegelt:

„Verstehe ich Sie richtig, dass Menschen, die Tage und Wochen ihrer Freizeit opfern, um zu verhindern, dass Milliarden an Steuergeldern verschwendet werden, egoistisch sind? Und dass also diejenigen, die von diesen Steuergeldern profitieren, nicht egoistisch sind?“
„Verstehe ich das richtig, dass Katholiken, die nichts gegen Schwule haben, die Opfer der Heuchelei derjenigen sind, die den Papst kritisieren?“

Dies sind rhetorische Fragen, und wenn die Täter der orwellschen Umkehrung darauf antworten – zumeist mit der nächsten Attacke – ist es angemessen, darauf aufmerksam zu machen: „Das war eine rhetorische Frage“. Das ist dann ein gutes Ende des Scharmützels, das nie eine Diskussion werden konnte. Dies ist übrigens ein weiterer Grund, warum die Sendungen der klassischen Medien oft so unerträglich sind. Es gibt nicht einmal Raum für Widerspruch.

Es gab einmal Zeiten, da waren Künstler tendenziell kritisch und verstanden sich als außerhalb des Systems stehend. Ihre Wurzeln sind Philosophien, die von “Transzendenz” und “Aura” sprechen, ihnen wurde unterstellt, sie arbeiteten sich ab am “Nicht-Identischen”, dem, was nicht einfach zur Sprache kommt oder sich der Norm anpasst. Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts gab es immerhin noch eine gewisse Tendenz zur politischen Einmischung. Künstler hatten oft eine andere Vorstellung von Idealen wie Gerechtigkeit oder Frieden als das, was der Sachzwang davon übrig ließ.

Wie so vieles, was die Ökonomisierung der Lebensbereiche geschleift hat, ist auch die Kunst, sind die Künstler inzwischen ein hässlicher Abklatsch des einstigen Strebens nach Entfaltung und Ausdruck, eine unfreiwillige Karikatur, eine entstellte Fratze. Der Gipfel dessen, was sich in der gesellschaftlichen Nische für solche Gestalten tummelt, sind die Selbstdarsteller ohne Selbst, “Celebrities”, deren Aufgabe darin besteht, da zu sein und Geld zu haben. Einige mögen irgendwann irgendwer gewesen sein, ein Castingprodukt, eine Sportskanone. Andere sind einfach Tochter, Gattin, Vetter von.

Erbfolge und Verlagskonzept

Es ist ein Hofstaat, in dem selbst die Narren gottlos dämlich sind und ohne jeden Witz. Die dazugehören, bestimmen, wer noch rein darf. Und wo einst Kreativität und Originalität die Türen und Ohren öffneten, sorgt heute eine Martkmaschine dafür, dass man ins Verlagskonzept passt. Das heißt also im selteneren Fall, dass frau ein entsprechendes Fahrgestell hat und dem Chef gefällt. In aller Regel reicht aber auch das nicht. Das neue Feudalsystem ist auch bei den “Künstlern” angekommen, der Platz auf der Bühne wird schlicht vererbt. Nichts hat diesen Umstand in seiner ganzen Erbärmlichkeit so bloßgestellt wie der Fall Hegemann.

Andere können das genau so gut, kaum ein Prominentenkind, das keine Karriere macht, wenn es nur will. Die Journaille feiert das ab wie alles andere, das die Kulturkonzerne ihr lancieren und stellt die richtigen Fragen wie immer im falschen Kontext, als seien die armen Kinder, die im Schatten ihrer noblen Eltern stehen, ein Opfer solcher Umstände. Ein passendes Exempel gibt es aktuell in der Sueddeutschen: Die Tochter Westernhagen. Sie spricht Sätze wie:

Ich unterhielt mich auf einer Party mit dem Anwalt meiner deutschen Model-Agentur. Ich erzählte ihm, dass ich Songs schreibe.”

Vermutlich hat der Interviewer sie in diesem Augenblick zutiefst bewundert. Ich hätte spätestens an dieser Stelle einen Eimer gebraucht.

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